Das Flammende Kreuz
zurück, ob ich die Worte tatsächlich aussprach oder ob ich sie mir nur in mein erschöpftes Gedächtnis rief, weil sie so tröstlich sein konnten. Ein jeder Mensch trifft Entscheidungen, und niemand kann sagen, wohin sie letztendlich führen. Meine Entscheidung mochte ja an vielen Dingen schuld sein, aber sie war nicht die Mutter aller Dinge. Und sie hatte nicht nur böse Folgen gehabt.
Bis dass der Tod uns scheidet . Viele Menschen hatten dieses Gelübde schon abgelegt, nur um es dann zu ignorieren oder zu verraten. Und doch wurde mir klar, dass manche Verbindungen weder durch den Tod noch durch bewusste Entscheidungen gelöst werden konnten. In guten wie in schlechten Zeiten hatte ich zwei Männer geliebt, und ein Teil von beiden würde mich immer begleiten.
Das Schlimme daran war, so dachte ich, dass ich zwar oft ein tiefes, schmerzendes Bedauern über meine Taten empfunden hatte - aber niemals Schuldgefühle. Jetzt, da meine Entscheidung so weit hinter mir lag, war das möglicherweise anders. Ich hatte mich tausendmal bei Frank entschuldigt - ihn aber nie um Vergebung gebeten. Mir kam plötzlich der Gedanke, dass er sie mir trotzdem geschenkt hatte - so gut er konnte. Bis auf die schmalen Lichtstreifen, die durch die Bodenritzen drangen, war der Dachboden dunkel, doch er kam mir nicht länger leer vor.
Ich regte mich abrupt, denn eine plötzliche Bewegung vor dem Haus riss mich aus meinen Gedanken. Schweigend wie dahin huschende Rentiere flitzten zwei dunkle Gestalten Hand in Hand über das Schneefeld, und ihre Umhänge umwehten sie wie Wolken. Vor dem Unterstand der Pferde zögerten sie kurz, dann verschwanden sie darin.
Ich lehnte mich auf das Fenstersims, ohne die Schneekristalle unter meinen Handflächen zu beachten. Ich konnte die Geräusche der erwachenden Pferde hören; die klare Luft trug deutlich leises Wiehern und Stampfen zu mir herüber. Die Geräusche unten im Haus waren leiser geworden; jetzt drang ein lautes »Mäh-äh-äh!« durch die Bodendielen zu mir herauf, denn Hiram spürte die Unruhe der Pferde.
Unten erklang erneut Gelächter, das die Geräusche auf der anderen Straßenseite vorübergehend übertönte. Wo war Jamie? Ich lehnte mich hinaus, und der Wind blähte die Kapuze meines Umhangs auf und blies mir Eis ins Gesicht.
Da war er. Eine hoch gewachsene, dunkle Gestalt, die durch den Schnee auf den Unterstand zuging, jedoch langsam, wobei er mit den Füßen das weiße Pulvereis in großen Wolken aufwirbelte. Was... doch dann begriff ich, dass er der Spur der Liebenden folgte und absichtlich darauf herumtrampelte,
um die Fährte zu verwischen, die jedem der Jäger unten im Haus ihre Geschichte nur zu deutlich erzählt hätte.
In dem mit Zweigen verkleideten Unterstand klaffte plötzlich ein Loch, als ein Stück aus der Wand herausbrach. Dampfwolken quollen in der Luft auf, und dann kam ein Pferd zum Vorschein, das zwei Reiter trug und sich nach Westen davonmachte, vom Schritt zum Trab und dann zum Galopp angetrieben. Der Schnee war nicht tief; nicht mehr als etwa zehn Zentimeter. Die Pferdehufe hinterließen eine deutliche Spur, die die Straße entlangführte.
Ein durchdringendes Wiehern erhob sich aus dem Unterstand, gefolgt von dem eines weiteren Pferdes. Unter mir erklangen alarmierte Geräusche, Rascheln und Rumpeln, als die Männer sich aus ihren Decken rollten oder nach ihren Waffen hechteten. Jamie war verschwunden.
Ganz plötzlich kamen Pferde aus dem Unterstand gerast, traten die Wand ganz ein und zertrampelten die herabgefallenen Äste. Schnaubend, wiehernd, tretend und schubsend ergossen sie sich über die Straße, ein Chaos aus wehenden Mähnen und rollenden Augen. Dann sprang auch das letzte Pferd aus dem Unterstand und schloss sich der Stampede an. Sein Schweif schlug nach der Gerte, die auf seiner Kruppe landete.
Jamie warf die Gerte weg und verschwand geduckt wieder in dem Unterstand, just als die Tür aufflog und die Szene in blassgoldenes Licht tauchte.
Ich nutzte die Gelegenheit des allgemeinen Aufruhrs, um ungesehen die Treppe hinunterzuhuschen. Alle waren draußen; selbst Mrs. Brown war mitsamt ihrer Nachthaube ins Freie gerauscht und hatte dabei die Bettdecken halb aus dem Bett geschleift. Hiram, der stark nach Bier roch, blökte mich beschwipst schwankend an, als ich an ihm vorbeikam, seine gelben Augen feucht und aufgedunsen von dem durchzechten Abend.
Draußen war die ganze Straße voller halb bekleideter Männer, die hin und her irrten und aufgeregt mit
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