Das Flammende Kreuz
den ich für einen Felsbrocken gehalten hatte, tatsächlich ein abgetrennter Gorgonenkopf war, dessen Schlangen zum Teil in schockierter Bestürzung abstanden.
Die unübersehbar kunstfertige Machart dieser Reptilien lieferte einer Anzahl von Damen eine Entschuldigung zur näheren Betrachtung, und sie wagten sich dicht heran, spitzten kennerhaft die Lippen und äußerten sich mit Bewunderungslauten über das Geschick des Bildhauers bei der Andeutung jeder einzelnen Schuppe. Dann und wann ließ die eine oder andere ihren Blick für den Bruchteil einer Sekunde in die Höhe schnellen, bevor sie ihn mit einem Ruck wieder auf das Gorgonengesicht heftete und rot anlief - zweifellos von dem Glühwein, der von den Dienstboten herumgereicht wurde.
Ein dampfender Becher dieses Getränkes, der mir unter die Nase gehalten wurde, lenkte mich von Perseus ab.
»Trinkt etwas davon, Mrs. Fraser.« Es war Lloyd Stanhope, die Liebenswürdigkeit in Person. »Ihr wollt Euch doch nicht erkälten, werte Dame.«
Das war zwar kaum wahrscheinlich, da sich der Tag zunehmend erwärmte, doch ich nahm den Becher entgegen und genoss den Duft von Zimt und Honig, der mir von seiner dampfenden Oberfläche entgegen wehte.
Ich drehte mich zur Seite und sah mich nach Jamie um, doch er blieb unsichtbar. Eine Gruppe von Herren, die darüber diskutierten, ob Virginiatabak oder Indigo lukrativer war, drängte sich um Perseus’ Vorderseite, während
die Rückseite der Statue jetzt drei junge Mädchen verbarg, die sie im Schutz ihrer Fächer mit roten Gesichtern kichernd von hinten betrachteten.
»...einzigartig«, sagte Philip Wylie gerade zu irgendjemandem. Die Randgewässer der Konversation hatten ihn wieder an meine Seite geschwemmt. »Absolut einzigartig! Man nennt sie Schwarze Perlen. Ich wette, so etwas habt Ihr noch nicht gesehen.« Er sah sich um, und als er mich entdeckte, streckte er die Hand aus, um sacht meinen Ellbogen zu berühren. »Ich habe gehört, Ihr habt einige Zeit in Frankreich verbracht, Mrs. Fraser. Habt Ihr sie dort vielleicht gesehen?«
»Schwarze Perlen?«, sagte ich und bemühte mich, den Gesprächsfaden aufzunehmen. »Nun, ja, ein paar. Ich erinnere mich, dass der Erzbischof von Rouen einen kleinen Mohrenpagen hatte, der eine große, schwarze Perle in der Nase trug.«
Stanhope fiel der Kinnladen herunter, ein Bild der Lächerlichkeit. Wylie starrte mich für den Bruchteil einer Sekunde an, dann lachte er so laut auf, dass sowohl die Tabaklobby als auch die kichernden Mädchen verstummten und uns anstarrten.
»Ihr bringt mich noch um, meine Liebe«, keuchte Wylie, während Stanhope in unterdrücktes Prusten verfiel. Wylie zog ein Spitzentaschentuch hervor und betupfte sich vorsichtig die Augenwinkel, damit keine Lachträne seinen Puder befleckte.
»Also wirklich, Mrs. Fraser, habt Ihr denn meine Schätze noch nicht gesehen?« Er ergriff meinen Ellbogen und schob mich überraschend geschickt aus der Menge hinaus. »Kommt, ich will sie Euch zeigen.«
Er manövrierte mich reibungslos durch das Gewimmel und dann seitlich am Haus vorbei auf einen gepflasterten Weg, der zu den Stallungen führte. Eine weitere Menschenansammlung - zum Großteil Männer - drängte sich um das Paddock, wo Jocastas Stallknecht gerade mehreren Pferden Heu hinstreute.
Es waren fünf, zwei Stuten, zwei Zweijährige und ein Hengst. Alle fünf waren kohlrabenschwarz, und ihr Fell glänzte in der blassen Frühlingssonne, obwohl es noch das struppige Winterfell war. Ich war keine Expertin, was das Exterieur von Pferden betraf, wusste aber inzwischen genug, um den breiten Bug, den tonnenförmigen Rumpf und die reliefartigen Hinterteile zur Kenntnis zu nehmen, die ihnen das seltsame, aber höchst ansprechende Aussehen stämmiger Eleganz verliehen. Über die Schönheit ihres Körperbaus und ihres Fells hinaus war das Auffälligste an diesen Pferden ihr Langhaar.
Während die meisten Pferdemähnen ihr Dasein irgendwo zwischen kurzen Stoppeln und unordentlichem Gewirr fristeten, hatten diese schwarzen Pferde massenweise fließendes, seidiges Haar - fast wie Frauenhaar -, das sich im Rhythmus ihrer Bewegungen hob und wogte, genau wie auch die Wasserfälle ihrer langen, dichten Schweife. Dazu waren die Hufe und Fesseln eines jeden Pferdes mit einem feinen Federbusch aus schwarzen Haaren
verziert, die sich bei jedem Schritt bewegten wie Gänsedistelsamen auf dem Wasser.
Im Vergleich zu den normalen, grobknochigen Reitpferden und kräftigen Zugpferden
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