Das Flammende Kreuz
Briannas Taille fuhr. »Was ist das - Crewel- garn? Welche Farbe hat es?«
»Dunkles Indigoblau. Blühende Ranken in schwerer Baumwolle, die sich von der hellblauen Wolle abheben.« Sie ergriff Jocastas Hand und führte ihre Fingerspitzen behutsam über die Ranken, die die Nähte des Mieders überdeckten und sich vom tief ausgeschnittenen, rechteckigen Halsausschnitt bis zur V-förmigen Taille des Kleides zogen, die an der Vorderseite steil nach unten zulief, um die schlanke Figur zu betonen, die Jocasta gerade gelobt hatte.
Brianna zog den Bauch ein, als sich die Schnüre fester zuzogen, und blickte von ihrem Spiegelbild auf den kleinen Kopf ihres Sohnes, der so rund wie eine Melone und herzzerreißend perfekt war. Nicht zum ersten Mal fragte sie sich, was für ein Leben ihre Tante wohl gelebt hatte. Jocasta hatte Kinder gehabt, zumindest meinte Jamie das - doch sie sprach nie von ihnen, und es widerstrebte Brianna, sie danach zu fragen. Vielleicht hatte sie sie im Kleinkindalter verloren, wie es so oft geschah. Bei dieser Vorstellung wurde ihr das Herz schwer.
»Mach dir keine Sorgen«, sagte ihre Tante. Jocastas Spiegelbild legte jetzt wieder eine Miene entschlossener Fröhlichkeit an den Tag. »Dein Junge ist zu Großem geboren; ihm wird bestimmt kein Unheil geschehen.«
Sie wandte sich ab, und die grüne Seide ihres Morgenrockes strich raschelnd über ihre Unterröcke, während Brianna erneut verblüfft zur Kenntnis nahm, wie gut ihre Tante die Gefühle der Leute erraten konnte, obwohl sie ihre Gesichter nicht sehen konnte.
»Phaedre!«, rief Jocasta. »Phaedre! Bring mir mein Kästchen - das schwarze.«
Wie immer war Phaedre nicht weit fort, und ein kurzes Rascheln in den Schubladen des Kleiderschrankes brachte das schwarze Kästchen zum Vorschein. Jocasta setzte sich damit an ihren Sekretär.
Die schwarze Lederschatulle war alt und abgenutzt, ein schmales Kästchen, das mit verwittertem Leder bezogen war, schmucklos bis auf den Silberverschluss. Brianna wusste, dass Jocasta ihre besten Juwelen in einem viel prachtvolleren Kästchen aus samtgefüttertem Zedernholz aufbewahrte. Was mochte sich in diesem hier befinden?
Sie trat an die Seite ihrer Tante, und Jocasta klappte den Deckel auf. Im Inneren der Schatulle befand sich ein kurzes, fingerdickes, gedrechseltes Holzstück, auf dem drei Ringe arrangiert waren: ein schlichter Goldring mit einem Beryll, ein weiterer mit einem großen, glatt geschliffenen Smaragd, und der dritte war mit drei Diamanten besetzt. Diese waren von kleineren Steinen umringt, in denen sich das blasse Licht fing und in Regenbogen reflektierte, die über die Wände und Deckenbalken tanzten.
»Was für ein hübscher Ring«, rief Brianna unwillkürlich aus.
»Oh, der Diamantring? Ja, Hector Cameron war wirklich ein reicher Mann«, sagte Jocasta und berührte geistesabwesend den größten der Ringe. Ihre langen - ungeschmückten - Finger durchsuchten zielstrebig den kleinen
Haufen von Schmuckstücken, der neben den Ringen in der Kiste lag, und kamen mit einem kleinen, unscheinbaren Gegenstand wieder zum Vorschein.
Sie reichte ihn Brianna, und diese stellte fest, dass es eine kleine Brosche aus durchbrochenem Zinn war, die stark angelaufen war und die Form eines Herzens hatte.
»Das ist ein Deasilzauber, a muirninn «, sagte Jocasta und nickte zufrieden mit dem Kopf. »Steck ihn dem Kleinen hinten an sein Kittelchen.«
»Ein Zauber?« Brianna warf einen Blick auf Jemmys zusammengerollten Körper. »Was denn für ein Zauber?«
»Gegen das Elfenvolk«, sagte Jocasta. »Hefte ihn dem Jungen an sein Kittelchen -aber unbedingt immer hinten -, und niemand aus dem Alten Volk wird ihn behelligen.«
Die Haare auf Briannas Unterarmen prickelten sacht, weil Jocasta diese Worte in so selbstverständlichem Ton sprach.
»Deine Mutter hätte es dir sagen sollen«, fuhr Jocasta mit einem Hauch von Tadel in der Stimme fort. »Aber ich weiß ja, dass sie eine Sassenach ist, und dein Vater denkt wahrscheinlich nicht an so etwas. So sind die Männer«, fügte sie mit einer Spur von Bitterkeit hinzu. »Es ist Frauensache, für die Kinder da zu sein, sie vor dem Unheil zu beschützen.«
Jocasta bückte sich und suchte in den Holzabfällen des Brennholzkorbes herum. Als sie sich wieder erhob, hatte sie einen langen Kiefernzweig in der Hand, dem noch die Rinde anhaftete.
»Nimm das«, befahl sie und hielt Brianna den Zweig hin. »Zünde das Ende am Kaminfeuer an und schreite dreimal um das Kind
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