Das Flüstern der Albträume
ihre schulischen Aufgaben gestürzt. Sie und Angie hatten einander fast zwei Jahre nicht gesehen, und das letzte Treffen war nach ihrer Verhaftung gewesen.
Ohne Vorwarnung stiegen ihr heiße Tränen in die Augen und liefen ihr über die Wangen. »Reiß dich zusammen, Eva«, flüsterte sie. »Ruf deine Schwester an.«
Sie dachte an das letzte Mal, als sie Angie gesehen hatte.
»Wir werden kämpfen«, sagte Angie. Mit dem Telefonhörer am Ohr saß sie auf der anderen Seite der Glasscheibe und sah Eva direkt an. Ihr glattes, blondes Haar fiel beim Sprechen nach vorn und verdeckte ihr Gesicht teilweise. »Ich hätte dich zu mir nehmen sollen, als Mom gestorben ist.«
»Nein. Lass gut sein.« Darius Cross hatte geschworen, Evas Familie zu zerstören, falls sie nicht für den Tod seines Sohnes büßte. Es war besser, sich von Angie zu lösen. Wenn sie wusste, dass es ihrer Schwester gut ging, konnte sie ihre Strafe absitzen. »Ich will nicht kämpfen.«
»Warum nicht?«
»Ich will einfach nicht, Angie. Zehn Jahre sind nicht so lange.«
»Mein Gott, du bist doch erst siebzehn.«
»Und wenn ich rauskomme, bin ich erst siebenundzwanzig. Noch viel Zeit zum Leben.«
»Gib nicht auf, Eva. Es war falsch, was Josiah dir angetan hat. Man sollte dich nicht dafür bestrafen, dass du dich verteidigt hast.«
»Lass gut sein, Angie.«
Eva legte den Hörer hin und verließ den Besuchsraum. Sie drehte sich nicht um, doch sie hörte, wie Angie gegen die Scheibe hämmerte und sie anflehte, sich umzuschauen. Eva tat es nicht, und sie sagte den Wärtern, sie wolle keine Besuche mehr.
Vor einer Woche war sie kurz davor gewesen, Angie anzurufen. Darius Cross war tot, und sie fing gerade ein neues Leben an. Doch der Brand im Wohnheim, der Mord an Lisa und der Zeitungsartikel …
Auch wenn sie mehr zu bieten hatte als ihre Gabe, Betrunkenen beizustehen und Streuner aufzulesen, fürchtete sie, dass die Vergangenheit von den Toten auferstanden war, um sie heimzusuchen und Angie in Gefahr zu bringen.
Der Geruch nach Asche und Rauch erfüllte den Kellerraum und mischte sich mit dem Wimmern der Frau. Seit sie aufgewacht war, weinte sie, und ihre schwachen Laute waren geradezu zermürbend. »Sei still!«
»Bitte!«
»Bitte was?«
»Lassen Sie mich gehen.«
»Die Angelegenheit hier wird nicht lange dauern.« Lou ignorierte das Flehen, stieß den Schürhaken in das schwächliche Feuer und verfluchte die Tatsache, dass der Kamin nicht so gut zog, wie er es hätte tun sollen. »Dieser verdammte Kamin müsste mal gesäubert werden.«
»Lassen Sie mich gehen.«
Die Stimme der Frau summte um Lou herum, bedeutungsloser als eine Stubenfliege und leicht zu zerquetschen. »Auf jeden Fall muss der Abzug anständig gereinigt werden. Aber es wäre sinnlos, ihn jetzt zu reinigen. In weniger als einer Woche bin ich fertig.«
»Jemand wird mich finden.«
Lou lachte. »Das hat die andere auch gedacht. Dass man sie retten würde. Wie sich herausgestellt hat, war es ein unbedeutender Dieb, der in mein Haus gestolpert ist. Er dachte, er könnte mir entkommen, aber ihn zu finden, die Kaution zu hinterlegen und ihn nach Leesburg zu locken, war ein Kinderspiel. Was ist das für ein Dieb, der eine Brieftasche mit sich herumträgt?«
»Lassen Sie mich gehen.«
»Du klingst wie eine kaputte Schallplatte. Immer dieselbe Leier. Das nervt.«
Lou wandte sich zu der Frau um und sah sie zum ersten Mal seit vielen Stunden an. Sie lag auf dem Rücken, die Arme über dem Kopf zusammengebunden und an einen Stützpfeiler gefesselt. Ihre Füße waren ebenfalls gefesselt und an einen weiteren Pfeiler gebunden.
Lou schürte das Feuer mit dem Griff des metallenen Brenneisens, das sie speziell für diese Aufgabe angefertigt hatte.
»Bitte. Warum tun Sie das?«
Saras blondes Haar sah nicht mehr voll und üppig aus, sondern klebte an ihrem Kopf. Ihre Wimperntusche lief in dunklen Schlieren über ihre Wangen, und ihr roter, nuttiger Lippenstift war zu einem blassen, ungleichmäßigen Geschmier verwaschen. Ihre weiße Bluse war verschwunden, vom Leib geschnitten und weggeworfen, und ihr weißer Spitzen- BH umschloss volle Brüste.
»Weil du so böse warst, Sara. Du hast gegen so viele Regeln verstoßen.«
Sara zerrte an ihren Fesseln und schrie. »Hilfe!«
»Schrei, soviel du willst, süße Sara. Niemand hört dich.« Dieses Mal hatte Lou besondere Vorkehrungen getroffen. Sie hatte die Fenster zugenagelt, die Haustür verriegelt und auf dem Boden und im Flur
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