Das Flüstern der Nacht
aufzubauen. Nach einer Woche hatte sich die Anzahl verdreifacht. Eine weitere Woche später ergoss sich ein steter Strom von Menschen aus den entlegenen Siedlungen in die Stadt; Männer, deren Familien teils seit zehn Generationen zu den khaffit gehörten, kamen, um ihre Kaste abzustreifen, und brachten gleich ihre Angehörigen mit, die sich angesichts des bevorstehenden Krieges ebenfalls nützlich machen sollten.
In weniger als einem Monat hatte Jardir die Größe seiner Armee verdreifacht, und die Stadt quoll über vor Bewohnern, wie es seit vielen Jahrzehnten nicht mehr der Fall gewesen war.
»Im kommenden Sommer ist es so weit«, verkündete Jardir wieder einmal, nachdem Abban seinen morgendlichen Bericht beendet hatte.
»Die Nordländer sind uns zahlenmäßig immer noch weit überlegen«, gab Abban zu bedenken.
Jardir nickte. »Das mag ja sein, aber wenn wir losmarschieren, ist selbst der tüchtigste dieser Schwächlinge aus dem Norden nicht mal einem unserer kha’Sharum gewachsen.«
»Wie viele wirst du zurücklassen, um den Wüstenspeer zu sichern?«, erkundigte sich Abban.
»Gar keinen«, erwiderte Jardir. Alle Anwesenden sahen ihn verblüfft an, und selbst Inevera gab sich nicht die Mühe, ihre Überraschung zu verbergen.
»Du nimmst alle Krieger mit?«, wunderte sich Aleverak. »Und wer soll dann die Stadt verteidigen?«
»Ich nehme nicht nur alle Krieger mit, Damaji «, erläuterte Jardir, »sondern alle Krasianer . Wir müssen das von der Sonne verwöhnte Land verlassen - und damit meine ich wir alle . Auch die Alten. Sogar die Krüppel und die Kranken. Jeder Mann, jede Frau und jedes Kind, gleichgültig, ob sie in der Stadt oder in einem abgeschiedenen Dorf leben. Zurück bleiben nur der entvölkerte Wüstenspeer und die verwaisten Oasen. Die Tore von Fort Krasia werden hinter uns verbarrikadiert, und die unüberwindlichen Mauern sollen den alagai trotzen, bis wir uns zur Rückkehr entschließen.«
In Aleveraks Augen glühte ein fanatisches Feuer.
»Ich halte dieses Vorhaben für gefährlich«, warnte Ashan. »Unsere Armee wird nur im Kriechtempo vorankommen, wenn doch Eile geboten ist.«
»Anfangs vielleicht«, gab Jardir zu. »Aber wir müssen die Bereiche der Grünen Länder, die wir erobern, halten, ohne Truppen zurückzulassen. Everam hat nicht nur uns in das Land der Sonne hineingesetzt, sondern auch die khaffit . In den Grünen Ländern wird ein khaffit, der die Gesetze des Evejah befolgt, immer noch eine höhere Stellung einnehmen als ein chin . Sie sollen in den Gebieten siedeln, die wir unterworfen haben, und für Everam das Land bestellen, während die Sharum weiterziehen.«
Jardir sah, wie Inevera geistesabwesend ihren Beutel mit den alagai hora befingerte. Sobald die Audienz vorüber war, würde sie sich zurückziehen und die Würfel befragen, aber Jardir hegte nicht den geringsten Zweifel daran, dass sie seinem Plan zustimmen würde. Er war fest davon überzeugt, das Richtige zu tun, und sogar Abban zeigte durch ein Kopfnicken seine Billigung.
»Wann wirst du die anderen Damaji davon in Kenntnis setzen?«, fragte Ashan.
»Ich unterrichte sie erst dann, wenn wir zum Abmarsch bereit sind«, erwiderte Jardir, »damit Enkaji und die anderen keine Zeit mehr finden, die Entscheidung infrage zu stellen. Ich will, dass alle
das Große Tor im Rücken haben, ehe sie begreifen, was genau geschieht.«
»Und was ist unser erstes Ziel?«, erkundigte sich Abban. »Fort Rizon?«
Jardir schüttelte den Kopf. »Nein, zuerst suchen wir Anochs Sonne auf. Danach ziehen wir weiter in Richtung der Grünen Länder.«
»Du hast die verlorene Stadt entdeckt?«, wollte Abban wissen.
Jardir deutete auf einen Tisch, der mit Landkarten bedeckt war. »Sie war nie wirklich in Vergessenheit geraten. Im Sharik Hora befanden sich die ganze Zeit über ausführliche Karten, auf denen ihre Lage verzeichnet ist. Nach der Rückkehr haben wir die Reisen dorthin einfach eingestellt.«
»Unglaublich«, ächzte Abban.
Jardir schenkte ihm einen argwöhnischen Blick. »Ich verstehe nur nicht, wie der Par’chin sie finden konnte. Planlos die Wüste danach abzusuchen würde ein Leben lang dauern. Er muss Hilfe gehabt haben. An wen könnte er sich wohl gewandt haben?«
Abban zuckte gleichmütig mit den Schultern. »Im Basar gibt es an die hundert Händler, die behaupten, sie könnten Landkarten verkaufen, die den Weg nach Anochs Sonne weisen.«
»Fälschungen«, winkte Jardir ab.
»Zumindest eine dieser Karten
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