Das Flüstern der Nacht
und ihr Gesicht verzerrte sich vor Wut und Scham.
Renna schaute betont auf ihren Busen herab. »Ich bin kein Baby mehr, Beni.«
»Dann bind dir die Brust ab«, riet Beni. »Hör auf, nur in deinem Unterhemd herumzulaufen. Gib ihm keinen Anlass, von dir Notiz zu nehmen.«
»Das wird ihn nicht davon abhalten, was du sehr wohl weißt«, widersprach Renna.
»Seitdem sind fast fünfzehn Jahre vergangen, Ren. Du kannst nicht wissen, wie er sich verhalten wird.«
Aber Renna wusste es. In ihrem Herzen war nicht die Spur eines Zweifels. Sie hatte gemerkt, wie ihr Vater sie anstierte und seine Blicke über ihren Körper wandern ließ wie gierige Hände. Warum sonst schäumte er jedes Mal vor Eifersucht, wenn ein Mann sie nur ansah? Als sie noch jünger gewesen war, hatte mehr als ein Verehrer um sie geworben. Aber inzwischen hütete sich jeder, auch nur andeutungsweise Interesse an ihr zu bekunden.
»Bitte«, flehte sie und griff nach Benis Hand, während ihr die Tränen in die Augen stiegen. »Nimm mich mit.«
»Und wie soll ich das Lucik erklären?«, erwiderte Beni schroff. »Er hat jetzt schon ein schlechtes Gewissen, weil er euch auf dem Hof allein lässt. Ohne dich kann Dad die schwere Arbeit niemals bewältigen.«
»Sag ihm doch einfach die Wahrheit«, schlug Renna vor.
Beni verpasste ihr eine schallende Ohrfeige. Renna taumelte und griff sich erschrocken an die Wange. Noch nie zuvor hatte ihre Schwester sie geschlagen.
Aber Beni zeigte kein Anzeichen von Reue. »Daran darfst du nicht einmal denken!«, fauchte sie. »Mit dieser Schande will ich meine Familie nicht belasten. Lucik würde mich auf der Stelle hinauswerfen, wenn er es erführe, und bald würde sich die ganze Stadt über uns das Maul zerreißen. Und was wäre mit Ilain? Sollen Jeph und ihre Kinder auch mit diesem Makel behaftet werden, und das nur, weil du so ein Baby bist?«
»Ich bin kein Baby!«, schrie Renna.
»Sprich leise«, zischte Beni.
Renna holte tief Luft und bemühte sich, die Fassung wiederzugewinnen. »Ich bin kein Baby«, setzte sie noch einmal an, »nur weil ich nicht mit diesem Monster allein bleiben will.«
»Er ist kein Dämon, Renna, er ist unser Dad«, wies Beni sie zurecht. »Er hat uns ein schützendes Dach über dem Kopf geboten und dafür gesorgt, dass immer genug Essen auf dem Tisch stand, obwohl sein Herz brach, als Mam starb. Ilain und ich haben es ertragen,
und wenn es tatsächlich dazu kommt, kannst du es auch aushalten.«
»Ilain ist weggelaufen und hat sich hinter Jeph versteckt«, versetzte Renna, »so wie du dich hinter Lucik versteckst. Aber wer beschützt mich, Ben?«
»Du kannst nicht mit uns kommen!«, wiederholte Beni mit Nachdruck.
In diesem Moment betrat Lucik die Kammer. »Ist alles in Ordnung? Es hörte sich fast so an, als ob ihr euch streitet.«
»Alles ist bestens«, versicherte Beni und starrte Renna an, die aufschluchzte, sich an Lucik vorbeidrängte und sich in ihre kleine Ecke hinter dem Vorhang im Gemeinschaftsraum flüchtete.
In dieser Nacht lag Renna wach und lauschte dem Gekreisch der Horclinge auf dem Hof und den grunzenden Lauten, die aus Benis Kammer drangen; sie und Lucik trieben es fast jede Nacht. Dieselben Geräusche kamen früher aus Harls Zimmer, als ihre Mutter noch lebte. Und dann wieder, nachdem Harl ihre älteste Schwester, Ilain, dazu gezwungen hatte, ihm die Frau zu ersetzen. Als Ilain dann mit Jeph ausriss, erklang das Gestöhne in den Nächten, in denen Harl Beni in sein Bett zog. Damals hatte sie diese Sache nicht so heruntergespielt.
Renna setzte sich auf; sie war in Schweiß gebadet und ihr Herz raste. Sie linste um den Vorhang herum und sah die Jungen, die auf ihren Decken fest schliefen. Nur mit ihrem Untergewand bekleidet schlich sie sich durch den Gemeinschaftsraum, öffnete behutsam die Tür zur Scheune und stahl sich lautlos hinein.
Drinnen zündete sie eine Laterne an und tauchte die Scheune damit in ein flackerndes Licht.
»Eh?«, fragte Cobie, blinzelte und hob eine Hand vor die Augen. »Werissda?«
»Ich bin’s, Renna«, antwortete sie, ging zu ihm und setzte sich neben ihn ins Heu. Der Laternenschein tänzelte durch den Verschlag und züngelte über Cobies breite Brust, als die Decke herunterrutschte.
»Wir bekommen nicht oft Besuch«, erklärte sie. »Ich dachte mir, wir könnten noch ein Weilchen zusammensitzen und uns unterhalten.«
»Gute Idee«, meinte Cobie und rieb sich den Schlaf aus den Augen.
»Aber wir müssen leise sein«, ermahnte
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