Das Flüstern der Nacht
auf der Stelle den Wanst aufschlitzen!«
»Bitte!«, beschwor Cobie ihn. »So war das nicht! Ich mag Renna wirklich gern. Ich will ihre Hand!«
»Mir scheint, du wolltest mehr als das!«, knurrte Harl und drückte mit der Messerspitze zu, so dass ein Tropfen Blut aus Cobies Hals quoll. »Bildest du dir ein, dass das so einfach geht? Kommst daher, vögelst ein Mädchen und hältst danach um ihre Hand an?«
Cobie lehnte den Kopf weit nach hinten, während sich auf seinem Gesicht Tränen und Schweiß vermischten.
»Jetzt reicht’s aber!«, schrie plötzlich Lucik, umklammerte Harls Arm und entwand ihm das Messer. Harl sprang auf die
Füße und die beiden Männer maßen einander mit bitterbösen Blicken.
»Du würdest nicht so reden, wenn es um deine Tochter ginge!«, warf Harl ihm vor.
»Das mag schon sein«, erwiderte Lucik, »trotzdem lasse ich es nicht zu, dass du vor meinen Buben einen Mann tötest!«
Harl drehte den Kopf und sah Cal und Jace, die in der Tür zum Haus standen und mit weit aufgerissenen Augen dem Streit zusahen, während Renna in Benis Armen weinte. Sein Zorn verrauchte ein wenig und er ließ die Schultern hängen.
»Na schön«, gab er nach. »Renna, heute Nacht schläfst du in meinem Zimmer, damit ich ein Auge auf dich halten kann. Und du«, er zeigte mit dem Messer auf Cobie, der vor Angst erstarrte, »solltest dir eines gut merken: Wenn du mein Mädchen auch nur noch einmal ansiehst, schneide ich dir die Eier ab und verfüttere sie an die Horclinge.«
Er packte Renna beim Arm und schleifte sie mit sich, als er ins Haus zurückstürmte.
Renna zitterte immer noch, als Harl sie auf das Bett warf. Ihr Untergewand hatte sie wieder hochgezogen, aber sie kam sich nackt vor und merkte, wie ihre Vater sie mit seinen Blicken verschlang.
» Das treibst du also, wenn ein Gast in unserer Scheune übernachtet?«, brüllte Harl sie an. »Ich wette, die halbe Stadt lacht hinter meinem Rücken!«
»Kein einziges Mal hab ich so was gemacht!«, verteidigte sich Renna.
»Oh, und das soll ich dir jetzt noch glauben?«, höhnte ihr Vater. »Ich hab doch gesehen, wie du heute halb angezogen vor ihm auf und ab spaziert bist. Ich schätze, die Schweine sind nicht die Einzigen, die in der Scheune grunzen, wenn dieser Kurierjunge da ist.«
Renna verschlug es die Sprache, und schniefend zog sie die Decke um ihre bloßen Schultern.
»Jetzt bist du auf einmal schüchtern und versuchst, dich zu bedecken?«, spottete Harl. »Ein bisschen spät, wenn du mich fragst.« Er stieg aus seiner Latzhose, schlang sie über den Bettpfosten, griff nach dem Rand der Decke und rutschte neben Renna ins Bett. Das Mädchen erschauerte.
»Hör auf zu jaulen und schlaf, Mädchen«, brummte Harl. »Jetzt verlässt uns auch noch deine andere Schwester, und von morgen an gibt es für uns beide mehr zu tun.«
Renna wachte früh auf; ihr Vater schmiegte sich dicht an sie und hatte einen Arm um sie gelegt. Sie schüttelte sich vor Ekel, befreite sich aus seinem Griff und ließ ihn weiterschnarchen, während sie fluchtartig die Kammer verließ.
Benis Ratschlag befolgend, riss sie einen langen Streifen von ihrem Bettlaken ab, wickelte den Stoff mehrere Male um ihren Oberkörper und band ihre Brüste ab. Als sie damit fertig war, schaute sie an sich herunter und seufzte. Selbst mit flach gedrücktem Busen würde man sie niemals für einen Jungen halten.
Hastig zog sie sich an, wobei sie das Mieder ihres Kleides nur locker schnürte, um ihre Kurven zu kaschieren; ihre langes braunes Haar zwirbelte sie zu einem unordentlichen Knoten.
Die Jungen regten sich, als sie die Hafergrütze auf dem Feuer erwärmte und Schalen auf den Tisch stellte. Bei Sonnenaufgang herrschte im ganzen Haus emsige Betriebsamkeit, und Lucik schickte seine Söhne ein letztes Mal los, damit sie ihre morgendlichen Pflichten erfüllten.
Cobie war noch vor dem Frühstück weitergeritten, aber Renna konnte das nur recht sein. Harl würde einem Mann vielleicht kein
sicheres Obdach verweigern, doch das bedeutete nicht, dass er ihn an seinem Tisch sitzen ließ. Sie wünschte sich, sie hätte eine Gelegenheit gefunden, sich für das Verhalten ihres Vaters, aber auch für ihr eigenes Benehmen zu entschuldigen. Sie hatte für sich und für Cobie alles verdorben.
Nachdem die Morgenarbeit beendet war, spannte Harl den Wagen an und kutschierte sie alle über Stadtplatz bis nach Torfhügel, wo die Einäscherung stattfand. Als sie eintrafen, war es bereits Nachmittag, und
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