Das Flüstern der Nacht
darum bitten sollte, mir beizustehen. Während der ganzen Reise hierher hat sie geschimpft und gegrummelt, aber sie kam und blieb mehrere Monate im Palast. Während dieses Aufenthaltes nahm sie sogar zwei Schülerinnen an, Jizell und Jessa.«
»Jessa?«, hakte Leesha nach. »Bruna hat nie eine Jessa erwähnt.«
»Hah!«, rief Araine. »Das wundert mich nicht.« Leesha wartete auf eine nähere Erklärung, aber sie hoffte vergebens.
»Wenn Bruna gewollt hätte, wäre sie von mir in den Rang einer Herzoglichen Kräutersammlerin erhoben worden«, fuhr Araine fort, »aber gleich nachdem Thamos’ Nabelschnur durchtrennt war, wandte das störrische alte Weib sich von mir ab und ging ins Tal zurück. Sie sagte, auf Titel lege sie keinen Wert. Das Einzige, was für sie zählte, seien ihre Kinder im Tal.«
Die Herzoginmutter maß Leesha mit einem prüfenden Blick. »Denkst du genauso, Mädchen? Steht auch bei dir das Tal an erster Stelle, sogar noch vor deiner Verpflichtung gegenüber dem Efeuthron?«
Leesha sah ihr offen in die Augen. »Ja, genauso ist es.«
Eine Weile starrte Araine Leesha unverwandt an, als wolle sie sie zum Blinzeln bringen. Doch schließlich brummte sie zufrieden. »Hättest du etwas anderes gesagt, hätte ich dir kein Wort mehr geglaubt. Nun denn - wie Janson mir zugetragen hat, behauptest du, du hättest von Bruna auch dies und das gelernt, um Unfruchtbarkeit zu kurieren?«
Leesha nickte. »Bruna hat mir auf diesem Gebiet viel beigebracht, und ich kann auf jahrelange Erfahrung zurückgreifen.«
Araine blickte ein wenig skeptisch drein. »So viele Jahre können es gar nicht sein, aber das ist ja wohl kaum deine Schuld. Im Übrigen schadet es nichts, wenn du sie auch einmal untersuchst. Alle anderen Kräutersammlerinnen, derer ich habhaft werden konnte, haben es bereits getan.«
»Sie?«, fragte Leesha.
»Die Herzogin. Die derzeitige Gemahlin meines Sohnes, des Herzogs. Ich will wissen, ob das Mädchen keine Kinder kriegen kann, oder ob der Samen meines Sohnes zu schwach ist.«
»Letzteres kann ich nicht feststellen, indem ich die Herzogin untersuche.«
Araine stieß ein unfeines Schnauben aus. »Du würdest dich auf deinem strammen kleinen Hintern vor der Tür wiederfinden, wenn du mir weismachen wolltest, dass das ginge. Aber ein Schritt nach dem anderen. Sieh dir das Mädchen mal an.«
»Selbstverständlich. Könnt Ihr mir etwas mehr über Ihre Hoheit erzählen, bevor ich sie untersuche?«
»Sie ist körperlich in Höchstform wie ein Renner, von kräftiger Statur mit einem breiten Becken. Nicht besonders hell im Kopf, aber das wird von einer angieranischen Lady aus bestem Hause nicht anders erwartet. Dafür sind ihre Brüder umso gerissener, also liegt Dummheit nicht unbedingt in der Familie. Nach Rhinebecks letzter Scheidung habe ich sie unter all den wohlerzogenen, hoffnungsvollen Kandidatinnen selbst ausgewählt, nachdem ich genau geprüft hatte, aus welchem Stall sie kommt. Lady Melny ist die Jüngste von zwölf Geschwistern, wobei zwei Drittel männlichen Geschlechts sind. Ihre drei Schwestern haben bereits eigene Kinder, jeweils dreimal mehr Jungen als Mädchen. Wenn jemand die besten Voraussetzungen mitbringt, um dem Efeuthron einen Erben zu schenken, dann ist sie es. Mein Sohn interessierte sich natürlich nur für die Größe ihrer Brüste, aber so wie Melny ausgestattet
ist, kann sie auch ein Baby nähren, das so groß ist wie Rhiney, als ich ihn zur Welt brachte.«
»Wie lange ist das Paar schon verheiratet?«, erkundigte sich Leesha, ohne auf die Äußerung einzugehen.
»Seit über einem Jahr. Die Herzogliche Kräutersammlerin braut Fruchtbarkeitstees und ich lasse Janson die Bordelle schließen, wenn die Zeit für eine Empfängnis da ist, aber jeden Mondumlauf rötet sich ihre Binde.«
Araine führte Leesha durch das Labyrinth aus privaten Fluren und Treppen, die von den Frauen der herzoglichen Familie benutzt wurden. Sie sah viele Bedienstete, doch keinen einzigen Mann. Schließlich gelangten sie in eine komfortable Schlafkammer, die mit Samtkissen und krasianischen Seidenstoffen ausgestattet war. Die Herzogin stand vor einem der großen Buntglasfenster und schaute auf die Stadt hinaus. Sie trug ein weites Kleid aus grüner und gelber Seide, das vorne tief ausgeschnitten und in der Taille eng geschnürt war. Ihr Haar türmte sich hinter einer goldenen und mit Edelsteinen verzierten Tiara auf und das Gesicht war exquisit geschminkt; sie war von einem Augenblick auf den
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