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Das Flüstern der Nacht

Das Flüstern der Nacht

Titel: Das Flüstern der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter V. Brett
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Abbans ehemals gleichmäßigen Gang beeinträchtigte, war keine Spur zu erkennen. Die Jungen in der Schlange starrten ihn erbost an, aber Jurim hielt geradewegs auf seinen früheren Platz hinter Shanjat zu.
    »Dieser Platz ist nicht frei, du Krüppel!«, schrie Esam, der zu den nie’Sharum gehörte, die unter Jardirs Fuchtel standen. »Stell dich hinten an!« Esam war ein guter Kämpfer, und Jardir verfolgte den Streit mit einigem Interesse.
    Jurim lächelte und spreizte die Hände als wolle er sich fügen, aber Jardir sah, welche Stellung seine Füße einnahmen, und ließ sich nicht hereinlegen. Jurim sprang nach vorn, packte Esam und warf ihn zu Boden. In einem Moment war alles vorbei und Jurim stand wieder an seinem üblichen Platz. Jardir nickte. In Jurims Brust schlug das Herz eines Kriegers. Er sah zu Abban hinüber, der bereits aufgegessen und von dem Kampf nicht das Geringste mitbekommen hatte; traurig schüttelte Jardir den Kopf.
    »Alle mal her zu mir, ihr Ratten!«, rief Kaval, nachdem die leeren Schalen aufeinandergestapelt waren. Sofort begab sich Jardir zu dem Exerziermeister, und die anderen Jungen folgten ihm.

    »Was ist denn jetzt schon wieder los?«, wunderte sich Abban.
    Jardir zuckte die Achseln. »Das werden sie uns noch früh genug erzählen.«
    »Jeder von euch wird auf die Probe gestellt, ob er ein richtiger Mann ist«, hob Qeran an. »Ihr werdet der Nacht die Stirn bieten, und wir werden erfahren, wer von euch das Herz eines Kriegers hat und wer nicht.« Abban sog vor Angst scharf den Atem ein, aber in Jardir wallte eine Woge der Erregung hoch. Jede Prüfung brachte ihn der begehrten schwarzen Kluft ein bisschen näher.
    »Seit ein paar Monaten erhalten wir aus dem Dorf Baha kad’Everam keine Nachrichten mehr, und wir fürchten, die alagai haben dort die Siegel durchbrochen«, fuhr Qeran fort. »Gewiss, die Bahavaner sind khaffit , aber sie stammen von Kaji ab, und der Damaji hat entschieden, dass wir sie nicht aufgeben können.«
    »Er meint wohl, dass wir die wertvollen Keramiken nicht aufgeben können, die sie uns verkaufen«, murmelte Abban. »Baha ist die Heimat von Dravazi, dem Töpfermeister, dessen Arbeiten jeden Palast in Krasia schmücken.«
    »Denkst du eigentlich immer nur an Geld?«, fauchte Jardir. »Und wenn sie die niedrigsten Hunde auf Ala wären, so stehen sie immer noch weit über den alagai , und man muss sie beschützen.«
    »Ahmann!«, schnauzte Kaval. »Hast du etwas hinzuzufügen?«
    Jardir nahm wieder eine stramme Haltung an. »Nein, Exerziermeister!«, brüllte er.
    »Dann hüte deine Zunge«, warnte Kaval, »oder ich schneide sie dir heraus!«
    Jardir nickte, und Qeran fuhr fort: »Fünfzig Krieger, alles Freiwillige, werden die eine Woche dauernde Reise nach Baha unternehmen, angeführt von dama Khevat. Ihr geht mit, um ihnen zu helfen. Ihr tragt ihre Ausrüstung, füttert die Kamele, kocht die Mahlzeiten und schärft die Speere.« Er sah Jardir an. »Auf dieser Reise wirst du Nie Ka sein, Sohn des Hoshkamin.«

    Jardirs Augen weiteten sich. Nie Ka bedeutete Erster unter den Geringsten, und das hieß, dass Jardir der Erste unter den nie’Sharum war - nicht nur in der Essensschlange, sondern auch in den Augen der Exerziermeister -, und dass er die anderen Jungen willkürlich herumkommandieren und züchtigen durfte. Seit Jahren hatte es keinen Nie Ka mehr gegeben, seit Hasik die schwarze Tracht angelegt hatte. Es war eine ungeheure Ehre, die nicht leichtfertig vergeben oder angenommen wurde. Denn mit ihr war nicht nur Macht, sondern auch Verantwortung verbunden. Qeran und Kaval würden ihn für Schwächen und Fehler der anderen Jungen zur Rechenschaft ziehen und dementsprechend bestrafen.
    Jardir verbeugte sich tief. »Du ehrst mich, Exerziermeister«, sagte er. »Ich bete zu Everam, dass ich dich nicht enttäuschen werde.«
    »Das möchte ich dir auch raten, andernfalls gerbe ich dir das Fell«, entgegnete Kaval, während Qeran einen Lederstreifen mit Knoten nahm und ihn als Rangabzeichen um Jardirs Oberarm band.
    Jardirs Herz hämmerte in seiner Brust. Es war nur ein Lederstreifen, aber in diesem Moment kam er sich vor, als trüge er die Krone des Kaji. Jardir malte sich aus, wie die dama seiner Mutter davon erzählen würden, wenn sie zu ihnen ging, um ihre wöchentliche Lebensmittelration abzuholen, und er schwoll regelrecht an vor Stolz. Bereits jetzt fing er an, den Frauen seiner Familie die Ehre zurückzubringen.
    Und darüber hinaus stand ihm eine wahre

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