Das Flüstern der Nacht
Himmlische Paradies verwehrte. Diese Ängste hatte Jardir ihnen nun genommen.
»Hab Dank, Erlöser«, wiederholten sie unentwegt.
»Geht!«, schnauzte Jardir, und sofort rannten die Männer los.
Jardir wandte sich wieder an Leesha, deren Gesicht einem Sandsturm glich. »Du lässt sie einfach laufen?«, empörte sie sich. Jardir vergegenwärtigte sich, dass der Wortwechsel auf Krasianisch stattgefunden hatte, und sie vermutlich nur einen Bruchteil des Gesagten verstehen konnte.
»Selbstverständlich nicht«, betonte er in der Sprache des Nordens. »Sie werden den Tod finden.«
»Aber sie haben sich doch bei dir bedankt!«, erwiderte Leesha verstört.
»Ja, weil ich sie nicht kastrieren und ihnen die schwarze Kriegertracht wegnehmen ließ«, erklärte er.
Wonda spuckte auf den Boden. »Wäre diesen Söhnen des Horc nur recht geschehen!«
»Nein, das wäre es nicht«, widersprach Leesha. Jardir merkte, dass sie immer noch sehr aufgeregt war, aber er hatte keinen blassen Schimmer, warum. Hätte er die Männer eigenhändig töten sollen, vor ihren Augen? Bei den Nordländern galten andere Regeln bezüglich ihrer Frauen, und er wusste nicht, wie sie derlei Vorfälle handhabten.
»Was verlangst du noch?«, fragte er. »Sie haben es doch nicht geschafft, dem Mädchen Gewalt anzutun, sie ist nicht einmal verletzt.« Respektvoll nickte er Wonda zu. »Deshalb kann man nicht erwarten, dass sie ein Sühnegeld entrichten, weil sie ihr die Jungfräulichkeit geraubt haben.«
»Bin ohnehin keine Jungfrau mehr«, meinte Wonda gelassen. Leesha strafte sie mit einem scharfen Blick, den das Mädchen mit einem gleichgültigen Achselzucken quittierte.
»Aber die Tradition erfordert es, dass sie mit ihrem Leben bezahlen?«, hakte Leesha nach.
Jardir sah sie neugierig an. »Sie werden einen ehrenvollen Tod sterben. Morgen Nacht gehen sie nackt in den Kampf, nur mit ihren Speeren bewaffnet.«
Vor Entsetzen sperrte Leesha Mund und Augen auf. »Das ist barbarisch!«
Und in diesem Moment verstand Jardir, ihm kam gewissermaßen eine Erleuchtung. Der Tod war bei den Nordländern ein Tabu! Er verneigte sich. »Ich hatte angenommen, du seist mit dieser Bestrafung zufrieden, Meisterin. Wenn es dir lieber ist, kann ich sie auspeitschen lassen.«
Leesha sah zu Wonda hinüber, die wieder gleichmütig mit den Schultern zuckte. Dann wandte sie sich wieder an Jardir. »In der Tat, das gefällt mir viel besser. Aber wir wollen der Bestrafung beiwohnen
und ich bestehe darauf, hinterher die Wunden der Männer behandeln zu dürfen.«
Jardir wunderte sich über diese Bitte, aber es gelang ihm, sein Erstaunen zu verbergen, und er verbeugte sich tief. Manche Sitten der Nordländer fand er faszinierend. »Selbstverständlich, Meisterin. Die Strafe wird morgen bei Sonnenuntergang vollstreckt, damit alle Sharum zusehen können. Es soll in ihrem Gedächtnis haften bleiben. Ich selbst werde die Auspeitschung vornehmen.«
Leesha nickte. »Danke. Das genügt.«
»Für dieses Mal«, grollte Wonda, und Jardir lächelte, als er den feurigen Blick in ihren Augen sah. Es hatte drei Speere des Erlösers gebraucht, nur um sie festzuhalten, und keiner der Männer hatte es geschafft, den Akt zu vollziehen! Noch mehr Training, und sie würde selbst einen kai’Sharum in die Knie zwingen. Während er sie anschaute, reifte in ihm ein Entschluss heran; er war sich völlig darüber im Klaren, dass seine Entscheidung seine Armee vor eine Zerreißprobe stellen konnte, aber Everam hatte ihn auserwählt, den Sharak Ka anzuführen, und er wollte das tun, was er für richtig hielt.
Er verbeugte sich vor der Frau wie ein Krieger sich vor einem anderen verneigt. »Dieser Vorfall wird sich nicht wiederholen, Wonda vah Flinn am’Holzfäller am’Tal. Darauf gebe ich dir mein Wort.«
»Danke«, seufzte Leesha und legte eine Hand auf seinen Arm, und bei der Berührung fühlte sich Jardir wie in einem Rausch.
Es klopfte laut an der Tür.
»Werisda?«, nuschelte Rojer, der mit einem Ruck aufwachte und sich verwirrt umsah. In seinem Zimmer war es dunkel, obwohl er
an den Rändern der Samtvorhänge einen schwachen Lichtschimmer entdeckte.
Das Bett war ein Traum, so viel Schlafkomfort hatte Rojer seit seiner Zeit in Herzog Rhinebecks Bordell nicht mehr erlebt. Die Matratze und die Kissen enthielten eine Füllung aus Gänsefedern, und die Laken unter der Daunendecke waren glatt und weich. Es war, als ruhe man auf einer warmen Wolke. Als Rojer nichts weiter hörte, konnte er
Weitere Kostenlose Bücher