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Das Flüstern der Nacht

Das Flüstern der Nacht

Titel: Das Flüstern der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter V. Brett
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Angiers, doch stets waren gesundheitliche
Gründe der Anlass gewesen, nicht irgendein Ehrenritual. Bruna hatte für derlei Blödsinn wenig übriggehabt, und ihre Schülerin teilte ihre Ansicht.
    Aber Leesha wusste auch, wie brüchig ihr Friede mit den Krasianern war. Sie würde sich keine Freunde machen, wenn sie öffentlich deren Traditionen verhöhnte.
    Amanvahs Hymen war intakt, doch als Leesha die Hand nach Sikvah ausstreckte, zuckte das Mädchen zusammen und stieß ein leises Keuchen aus. Sie war mit einem feinen Schweißfilm bedeckt, und ihre olivfarbene Haut schien auf einmal blasser geworden zu sein. Sie kniff die Muskeln fest zusammen, als Leeshas Finger in sie hineinglitt, aber das genügte nicht. Sie war keine Jungfrau mehr.
    Innerlich musste Leesha grinsen. So barbarisch dieses Ritual auch sein mochte, es hatte ihnen gerade einen Grund geliefert, sich gekränkt zu fühlen und die Mädchen abzuweisen, bevor Rojer irgendeine Dummheit machte. Doch dann sah das Mädchen sie an, und die Furcht in ihren Augen traf Leesha wie ein Schlag ins Gesicht. Amanvah bemerkte den Blick und zog die Stirn kraus.
    »Zieht euch wieder an«, forderte Leesha die Mädchen auf und warf ihnen ihre Gewänder zu. Sikvah hüllte sich hastig in ihre Robe und beeilte sich dann, Amanvah zu helfen, die sie wütend anfunkelte, während sie die Seidenrobe der dama’ting an ihr befestigte.

    Leesha wirkte ernst, als sie mit den Mädchen zurückkam. Rojer wusste, dass ihr Urteil unerheblich war - er würde Jardirs Tochter genauso wenig heiraten, wie Leesha ihn zum Mann nehmen würde -, doch aus irgendeinem Grund hämmerte das Herz in seiner Brust, als hinge von der Antwort sein Leben ab.

    »Beide Mädchen sind ohne jeden Zweifel Jungfrauen«, erklärte Leesha. Rojer atmete tief durch.
    »Selbstverständlich.« Inevera lächelte. Amanvah jedoch schien nicht einverstanden zu sein. Sie huschte zu ihrer Mutter, flüsterte ihr etwas ins Ohr und zeigte zuerst auf Sikvah und dann auf Leesha.
    Ineveras Miene verdüsterte sich wie der Himmel vor einem Unwetter. Sie ging zu Sikvah und packte sie bei ihrem langen Zopf. Rojer wollte ihr beistehen, aber Elona umklammerte mit schmerzhaftem Griff seinen Arm und hielt ihn mit überraschender Kraft zurück.
    »Sei nicht dumm, Fiedlerjunge«, fauchte sie. Sikvah kreischte, als sie in den Untersuchungsalkoven gezerrt wurde. Amanvah folgte ihrer Mutter und zog den Vorhang mit einem energischen Ruck zu.
    »Was zum Horc ist gerade passiert?«, wunderte sich Rojer.
    Leesha seufzte. »Sikvah ist keine Jungfrau.«
    »Aber du hast doch behauptet, sie wäre eine.«
    »Ich weiß, was mit einem Mädchen passieren kann, wenn die Leute anfangen, an ihrer ›Reinheit‹ zu zweifeln«, erklärte Leesha. »Und eher lasse ich mich vom Horc verschlingen, als so etwas zu dulden.«
    Elona schüttelte den Kopf. »Man kann die Menschen nicht vor sich selbst retten, Leesha. Wahrscheinlich hat deine kleine Lüge für sie alles nur noch schlimmer gemacht. Du hättest einfach die Wahrheit sagen sollen, ich hätte dann als Entschädigung einen Beutel Gold verlangt und die Sache wäre längst erledigt.«
    »Hier geht es um einen Menschen, Mutter, nicht um ein …!«
    Rojer beachtete sie nicht, sondern fixierte mit starrem Blick den Vorhang, hinter dem das arme Mädchen mit der wunderbaren Stimme verschwunden war. Man hörte ein wenig gedämpftes Gezeter, aber es ging unter in dem schrillen Keifen, mit dem sich
Elona und Leesha hingebungsvoll beschimpften. »Könntet ihr beide jetzt bitte mal still sein?!«, brüllte er.
    Beide Frauen schossen zornige Blicke auf ihn ab, aber sie gaben Ruhe. Nun herrschte hinter dem Vorhang absolutes Schweigen, und das ängstigte Rojer umso mehr. Er war drauf und dran, zu dem Alkoven zu stürzen, als der Vorhang zurückgezogen wurde und Inevera wieder auf sie zusteuerte, Amanvah und die in Tränen aufgelöste Sikvah im Schlepp. Amanvah hatte ihre Arme um das Mädchen gelegt, bot ihr Trost und Halt. Bei diesem Bild blutete Rojers Herz, und seine Hand tastete nach dem Medaillon unter seinem Hemd.
    Inevera verneigte sich vor Rojer. »Ich bitte um Vergebung, weil dir diese Kränkung angetan wurde, Sohn des Jessum. Eure Kräuterpflückerin hat euch belogen. Sikvah ist unrein und wird selbstverständlich für ihr Verfehlen hart bestraft werden. Ich bitte dich, nicht an der Ehre meiner Tochter zu zweifeln, weil sie sich in Gesellschaft dieser Hure befunden hat.« Während sie sprach, spielten ihre Finger mit

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