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Das Flüstern der Nacht

Das Flüstern der Nacht

Titel: Das Flüstern der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter V. Brett
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War er sich sicher?
    »Ja, das tue ich«, antwortete er mit heiserer Stimme. Die versammelten dal’Sharum brachen in ein lautes Geschrei aus und trommelten mit den Speeren gegen ihre Schilde. Seine Mutter, Kajivah, umarmte seine jüngeren Schwestern, und sie alle weinten vor Freude.

    Jardir spürte wie sein Herz pochte, und halb wünschte er sich, er wäre im Labyrinth und würde den alagai’sharak tanzen, und nicht in diesem schummrig beleuchteten, mit Kissen ausgelegten Zimmer, in das sie sich zurückgezogen hatten.

    »Keine Angst, morgen wird es den alagai’sharak auch noch geben!«, hatte Shanjat gelacht. »Heute Nacht musst du einen anderen Kampf ausfechten!«
    »Du scheinst nervös zu sein«, meinte die dama’ting , als sie die schweren Vorhänge hinter ihnen zuzog.
    »Wundert dich das?«, gab Jardir verbittert zurück. »Du bist meine Jiwah Ka , und ich weiß nicht einmal deinen Namen.«
    Die dama’ting lachte, zum ersten Mal, seit er ihr begegnet war. Es war ein herrliches, perlendes Geräusch. »Wirklich nicht?«, fragte sie und legte ihren Schleier und die Kopfbedeckung ab. Er bekam große Augen, aber nicht nur, weil die Frau vor ihm so jung und schön war.
    Denn er kannte sie tatsächlich.
    »Inevera«, hauchte er - die nie dama’ting , die vor vielen Jahren im Pavillon mit ihm gesprochen hatte.
    Sie nickte und lächelte; sie war noch reizvoller, als er jemals zu träumen gewagt hatte.
    »In der Nacht, als wir uns begegneten«, erzählte Inevera, »war ich gerade damit fertig, meine ersten alagai hora zu schnitzen. Es war Schicksal; Everams Wille, wie mein Name. Die Dämonenknochen schnitzt man im Stockfinstern, allein nach dem Gefühl. Manchmal dauert es Wochen, einen einzigen Würfel zu formen, für einen vollständigen Satz benötigt man Jahre. Und erst wenn der Satz komplett ist, kann man sie erproben. Stellt sich heraus, dass die Würfel misslungen sind, setzt man sie dem Licht aus und fängt von vorne an. Sind sie jedoch gut geraten, steigt die nie dama’ting zu einer dama’ting auf, und wir dürfen unseren Schleier anlegen.
    In jener Nacht also vervollständigte ich meinen Satz und musste eine Frage stellen, um auszuprobieren, ob die Würfel die Macht besäßen, über das Schicksal Aufschluss zu geben. Aber welche Frage? Dann fiel mir der Junge ein, den ich am Tage kennengelernt hatte, der Bursche mit den kühnen Augen und
dem dreisten Benehmen, und während ich die Dämonenwürfel schüttelte, fragte ich: ›Werde ich Ahmann Jardir jemals wiedersehen?‹
    Und seit dieser Nacht wusste ich, dass ich dich nach deinem ersten alagai’sharak im Labyrinth finden würde. Nicht nur das, ich wusste auch, ich würde dich heiraten und dir viele Kinder gebären.«
    Dann bewegte sie ihre Schultern, und ihre weißen Gewänder glitten an ihr herab. Vor diesem Augenblick hatte sich Jardir gefürchtet, doch als das flackernde Licht sich auf ihrer nackten Gestalt spiegelte, reagierte sein Körper, und er wusste, dass er diese letzte Prüfung seiner Mannhaftigkeit bestehen würde wie all die anderen Prüfungen davor.

    »Jardir, du übernimmst mit deinen Männern die zehnte Ebene«, bestimmte der Sharum Ka .
    Nur ein Narr konnte diese Entscheidung treffen. Drei Jahre nachdem er den weißen Schleier angelegt hatte, wusste jeder der hier versammelten kai’Sharum , dass Jardirs Einheit die fanatischste und am besten ausgebildete in ganz Krasia war. Jardir verlangte seinen Männern das Letzte ab, aber die dal’Sharum sonnten sich in ihrem Triumph; sie brachten mehr alagai zur Strecke als drei andere Einheiten zusammen. In der zehnten Ebene waren sie verschwendet. Man hatte noch nie gehört, dass die alagai so tief in das Labyrinth eingedrungen wären.
    Der Sharum Ka lächelte Jardir höhnisch an, als wolle er ihn zu einem Widerspruch reizen, aber Jardir nahm die Schmach an und ließ sie von sich abgleiten. »Wie der Sharum Ka befiehlt«, erwiderte er und beugte sich von seinem Kissen aus so tief herunter, bis seine Stirn den dicken Teppich im Audienzzimmer des Ersten Kriegers
berührte. Als er sich wieder aufrichtete, trug er heitere Gelassenheit zur Schau, obwohl er den Mann, der vor ihm saß, verabscheute. Der Sharum Ka sollte der stärkste Kämpfer in der Stadt sein. Dieser hier war das genaue Gegenteil. Sein Haar war mit grauen Strähnen durchzogen, und das Gesicht so tief zerfurcht wie das eines Damaji . Seit er im Labyrinth gestanden hatte, waren viele Jahre vergangen, und das zeigte sich an seinem dick

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