Das Flüstern der Nacht
alten Verhaltensweisen zurückfielen, obwohl Shanjat bereits seit Jahren das Schwarz der Krieger trug, und er selbst erst heute seinen Bido gegen die Tracht eines Sharum eingetauscht hatte.
Jahrelang hatte Jardir geplant, wie er sich an Hasik rächen könnte, während er in seiner winzigen Zelle im Sharik Hora den sharusahk tanzte. Es genügte nicht, diesen Mann lediglich zu besiegen, Jardir musste an Hasik ein Exempel statuieren und jedem anderen, der vorhatte, ihn irgendwann einmal zu provozieren,
eine drastische Lektion erteilen. Hätte Hasik ihn nicht herausgefordert, wäre er von sich aus zu ihm gegangen und hätte es auf einen Kampf ankommen lassen.
Durch Everams unendliche Gerechtigkeit war dann alles genau so gekommen, wie er es sich vorgestellt hatte, aber nun, da sein Triumph vollkommen war, fühlte er sich auch nicht zufriedener als zu der Zeit, als er mit Shanjat um seinen Platz in der Essensschlange gekämpft hatte.
»Du scheinst alles gut im Griff zu haben«, meinte dama Khevat und schlug Jardir auf den Rücken. »Geh in den Kaji-Pavillon und nimm dir vor dem Kampf heute Nacht eine Frau.« Er lachte. »Nimm dir zwei! Die Jiwah’Sharum werden sich darum reißen, den jüngsten kai’Sharum seit tausend Jahren zu beglücken.«
Jardir zwang sich zu einem Lachen und nickte, obwohl er merkte, wie sich sein Magen verkrampfte. Er hatte noch nie bei einer Frau gelegen. Und bis auf die flüchtigen Blicke auf die Jiwah’Sharum , die er in dieser einen Nacht im Kaji-Pavillon erhascht hatte, hatte er noch nicht einmal eine Frau ohne ihre alles verhüllenden Gewänder gesehen. Er mochte zwar ein kai’Sharum sein, aber vor ihm lag noch eine letzte Prüfung seiner Mannhaftigkeit; wenn es darum ging, Hasiks Willen zu brechen oder alagai zu töten, so fühlte er sich bestens gerüstet, doch auf seine erste Begegnung mit einer Frau hatte ihn seine Ausbildung nicht vorbereitet.
Khevat ließ ihn stehen, und so atmete Jardir tief durch und richtete den Blick auf den Kaji-Pavillon.
Es sind doch nur Frauen, sagte er sich und machte einen zaghaften Schritt vorwärts. Sie sind dazu da, um dich zu verwöhnen, nicht umgekehrt. Sein nächster Schritt fiel schon ein bisschen selbstbewusster aus.
»Auf ein Wort«, flüsterte da die dama’ting und zog so seine Aufmerksamkeit auf sich. Sofort stiegen Erleichterung und Angst in ihm auf. Wie hatte er sie nur vergessen können?
»Unter vier Augen«, fuhr sie fort, und Jardir nickte. Er ging mit ihr an den Rand der Exerzierplätze, wo die dal’Sharum auf dem Hof sie nicht belauschen konnten.
Er war jetzt viel größer als sie, aber sie machte ihm immer noch Angst. In Gedanken sah er wieder die Stichflamme, die aus dem Dämonenschädel, den sie in der Hand trug, herausgeschossen war, und er versuchte sich einzureden, dass ihre alagai -Magie am Tage nicht wirkte, wenn Everams Licht auf sie herabschien.
»Bevor ich dir die schwarzen Gewänder brachte, warf ich die alagai hora «, erklärte sie. »Wenn du bei den Jiwah’Sharum schläfst, wird eine von ihnen dich töten.«
Jardir riss die Augen auf. So etwas war noch nie vorgekommen. »Warum?«, fragte er.
»Die Knochen verraten uns nicht, aus welchem Grund etwas geschieht, Sohn des Hoshkamin«, erklärte die dama’ting . »Sie zeigen uns nur, was gerade stattfindet, und was sich möglicherweise ereignen könnte. Vielleicht sinnt eine von Hasiks Geliebten auf Rache, oder eine Frau, deren Angehörige in einer Blutfehde mit deiner Familie ist, will Vergeltung üben.« Sie zuckte die Achseln. »Wenn du dein Vergnügen bei den Jiwah’Sharum suchst, ist dein Leben in Gefahr.«
»Darf ich denn nie eine Frau anrühren?«, rebellierte Jardir. »Das ist doch kein Leben für einen Mann!«
»Übertreibe nicht«, wies die dama’ting ihn zurecht. »Du kannst dir immer noch Gemahlinnen nehmen. Ich werde die Knöchelchen werfen, um dir geeignete Gattinnen auszusuchen.«
»Warum hilfst du mir?«, wollte Jardir wissen.
»Meine Beweggründe gehen dich nichts an«, ließ die dama’ting ihn abblitzen.
»Und wie hoch ist der Preis?«, fragte Jardir. In den Geschichten des Evejah war immer von einem versteckten Preis die Rede, den die bezahlen mussten, die hora -Magie für etwas anderes nutzten als den Sharak .
»Ah«, bemerkte die dama’ting . »Du bist also doch nicht mehr so unschuldig, wie es den Anschein hat. Das ist gut. Der Preis dafür ist, dass du mich zu deiner Gemahlin nimmst.«
Jardir erstarrte. Sein Gesicht wurde kalt.
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