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Das Flüstern der Schatten

Das Flüstern der Schatten

Titel: Das Flüstern der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan-Philipp Sendker
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Lust?«
    Paul zuckte mit den Schultern. Ihm war egal, was sie machten, solange nur Christine in seiner Nähe war. Sie standen sich für einen Moment so verlegen gegenüber wie zwei Teenager bei ihrem ersten Rendezvous. »Du wolltest doch etwas Süßes essen, oder?«
    Paul nickte.
    »In der Mall gibt es ein ganz ordentliches Café. Komm.«
    Sie fuhren eine weitere Rolltreppe hinauf, liefen über zwei Straßenüberführungen und betraten ein Einkaufszentrum. Dort wimmelte es von Menschen, und Paul blieb nach wenigen Schritten stehen, kniff die Augen zusammen und bekam eine Gänsehaut. Hier würde er es nicht aushalten, selbst wenn er wollte.
    Um kein Lächeln in der Welt. Christine sah sofort, was mit ihm los war. »Zehn Minuten von hier ist das alte Dorf Hang Hau, da gibt es ein paar Straßenrestaurants. Hast du trotz des Sturms Lust auf einen Spaziergang?«
    »Gern, bloß raus hier.«
    Sie spazierten die Hauptstraße entlang und waren weit und breit die einzigen Fußgänger. Nur in einem kleinen Park bemerkte Paul zwei Paare, die im Kreis liefen und heftig aufeinander einredeten.
    »Das ist unser Krisenpark«, erklärte Christine, als sie sein erstauntes Gesicht sah. »Hier ziehen sich die Paare zurück, wenn sie Streit haben und nicht wollen, dass die Kinder oder die Nachbarn jedes Wort hören.«
    Hand in Hand liefen sie einen schmalen, kaum beleuchteten Weg entlang. Manchmal, wenn eine Böe besonders mächtig blies, blieben sie stehen, und Christine suchte Schutz in Pauls Windschatten. Nach einigen Minuten kamen sie an eine Kreuzung, an der mehrere unscheinbare Restaurants lagen. Die Küchen waren auf dem Fußweg, Männer mit nackten Oberkörpern standen an offenen Feuern und hantierten mit Woks, Kellen und langen Stäben. Sie müssen ihr Handwerk verstehen, dachte Paul, alle Restaurants sind gut besucht. Die Gäste saßen unter Plastikplanen, an denen der Wind heftig zerrte, sie hockten an kleinen Tischen, aßen von Plastiktellern und unterhielten sich lautstark. Es roch nach heißem Erdnussöl, nach gebratenem Gemüse und Sojasoßen.
    Christine besorgte ihnen zwei Hocker und einen Tisch, Paul bestellte Tee, einen Mangopudding und kleine Reisbällchen, gefüllt mit schwarzem Sesam.
    »Tong Yuen«, sagte Christine und schmunzelte dabei.
    Paul wusste, worauf sie anspielte: Die Ballform war ein Zeichen für Einheit und Verbundenheit.
    »Du kannst dir aussuchen, ob ich sie wegen ihres Geschmacks oder ihres symbolischen Werts bestellt habe.«
    »Das sage ich dir, wenn ich sie probiert habe.«
    Sie betrachteten die Hochhäuser Hang Haus, die von diesem Straßenrestaurant aus noch überwältigender wirkten, aber auch so unecht wie die Kulisse eines Science-Fiction-Films.
    Christine blickte ihn eine Weile an, neigte den Kopf zur Seite und fragte:
    »Warum hast du dich bis nach Hang Hau getraut? Da muss etwas passiert sein.«
    »Ich weiß nicht«, antwortete er zögernd. »Ich fühlte mich allein auf Lamma. Zum ersten Mal. Ich saß am Küchentresen, hörte den Wind und den Bambus und...« Er verstummte.
    »... und hattest Sehnsucht nach mir?«, beendete sie seinen Satz mit einer Frage.
    »Und hatte Sehnsucht nach dir«, wiederholte Paul und lächelte. Er hatte den Anflug von Ironie in ihrem Ton nicht überhört.
    »Das freut mich«, sagte sie abwartend.
    »Außerdem gibt es in dieser Mordgeschichte etwas Neues.«
    Christines Lippen wurden schmaler, ihre Augen verengten sich, sie hob den Kopf und richtete den Oberkörper auf.
    Der Kellner brachte die Nachspeisen. Paul teilte ein Reisbällchen, nahm einen Löffel voll und bot ihn ihr an. Sie öffnete zwar langsam den Mund, ließ Paul dabei aber nicht aus den Augen. Wenn er sie mit dieser Geste hatte ablenken oder beruhigen wollen, war das misslungen. Sie wusste, dass die eigentliche Geschichte noch nicht erzählt worden war.
    »Die Polizei in Shenzhen hat einen Verdächtigen verhaftet.«
    Paul wartete vergeblich auf eine Reaktion.
    »Angeblich hat er den Mord schon gestanden.«
    »Was heißt angeblich?«
    »David ist sich nicht so sicher. Er weiß ja, wie manche Geständnisse in China zustande kommen. Ich habe mir vorhin Michael Owens Computer angeschaut...«
    »Was hast du gemacht?«, unterbrach sie ihn. »Woher hast du den?«
    »Als ich zum ersten Mal in seiner Wohnung war, habe ich auf Davids Wunsch ein paar Sachen mitgenommen, darunter war auch eine Festplatte und...«
    »Du hast dich strafbar gemacht, Paul. Ist dir das klar?«
    »Wie kommst du denn darauf?«
    »Du hast

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