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Das Flüstern der Stille

Das Flüstern der Stille

Titel: Das Flüstern der Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ivonne Senn Heather Gudenkauf
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betreten, da kamst du auch schon. Nach drei Mal pressen warst du da und hast diesen unglaublichen Schrei ausgestoßen! Dann lagst du plötzlich in meinen Armen, dieses perfekte, wunderschöne kleine Mädchen mit den dunklen Haaren. Als Allererstes habe ich mich bei dir entschuldigt. Ich sagte: ‘Normalerweise sehe ich nicht aus wie eine ertrunkene Ratte, ich hoffe, ich habe dich nicht zu sehr erschreckt.’ Du schriest einfach weiter. Du hast dich angehört wie ein blökendes kleines Lämmchen.“
    An diesem Punkt der Geschichte lächelt Calli, wie sie es immer tut. Als sie drei war, bevor sie aufgehört hat zu sprechen, hatte sie mich an dieser Stelle immer mit einem hohen „määääh“ unterbrochen, und ich habe gelacht, weil sie genauso geklungen hatte. Jetzt jedoch gibt sie keinen Laut von sich; ich hatte gehofft, dass sie sich an ihren Part erinnern und ihn spielen würde. Molly und Dr. Higby sind immer noch mit ihren armen Füßen beschäftigt. Ich höre Wörter wie „Antibiotikum“ und „Tetanus“, aber ich versuche, sie für den Moment zu ignorieren.
    „Die Schwester hat dich dann kurz mitgenommen, um dich zu messen und zu wiegen. Zweitausendachthundert Gramm und achtundvierzig Zentimeter. Du warst perfekt. Als sie dich mir zurückgegeben hat, warst du sauber gewaschen und in eine Decke gewickelt. Die Schwester hat dir eine kleine rosafarbene Mütze aufgesetzt, und du hast immer noch geschrien. Oh, du hattest mir so viel zu sagen!“ Vorsichtig schaue ich Calli an, habe Angst, dass sie mein letzter Satz gestört hat, aber es scheint nicht so zu sein.
    „Nach einer Weile hattest du dich ausgeschrien und bist eingeschlafen. Ich habe dich nur immer und immer wieder angeschaut. Dein Gesicht sah so friedlich aus. Dann stürzten Daddy und Ben ins Zimmer! Sie waren total durchnässt vom Regen. Ihr Haar klebte an ihren Köpfen, und Wasser tropfte von ihren Nasen. Ich konnte hören, wie die Sohlen ihrer Schuhe auf dem Krankenhausfußboden quietschten.
    ‘Hab ich’s verpasst?’ , fragte Daddy. Was ich sehr lustig fand, weil ich ja ganz offensichtlich ein Neugeborenes in meinen Armen hielt.
    ‘Es ist ein Mädchen’ , fiel Ben auf, als er die rosafarbene Mütze sah.
    ‘Ein Mädchen’ , flüsterte Dad, als wäre es das Erstaunlichste von der Welt. Und dann kamen er und Ben Hand in Hand zum Bett und bestaunten das neue, wunderhübsche Mädchen in ihrem Leben. Daddy schaute Ben an und sagte: ‘Benny, du hast eine Schwester. Eine kleine Schwester. Du bist jetzt der große Bruder und musst auf sie aufpassen, wenn ich nicht da bin.’ Und Ben hat genickt. Er sah so ernst aus. Dann streckte er einen Finger aus, um deine Wange zu berühren. ‘Weich’ , sagte er. Du hast die Augen geöffnet. Und ich schwöre, auch wenn keiner, der nicht dabei war, es mir glaubt, ich schwöre, dass du ihn angelächelt hast.“
    Hier, in dem kalten, weißen Untersuchungszimmer, breitet sich ein echtes Lächeln auf Callis Gesicht aus.
    „Später, als Daddy und Ben wieder trocken waren, haben sie dich abwechselnd auf dem Arm gehalten. Daddy ist im Krankenzimmer auf und ab gegangen und hat immer wieder ‘Mein Calli-Mädchen’ gesagt. Draußen hat es immer noch gestürmt und gedonnert, dann fiel der Strom aus, und das Krankenhaus musste seine Notstromaggregate anwerfen. Sie haben Ben und Dad an diesem Abend in unserem Zimmer übernachten lassen, auch wenn sie das eigentlich nicht gedurft hätten. Es war eine perfekte Nacht, Calli, an dem Tag, an dem du geboren wurdest.“
    Calli schließt die Augen, als ob sie sich erinnert. Ich wünsche mir, dass sie sich daran erinnern könnte. Es war wirklich perfekt. Zumindest so, wie ich die Geschichte erzähle. Ich erinnere mich daran, gehofft zu haben, dass die Geburt von Calli wie ein Katalysator für einen Neubeginn in unserer kleinen Familie wirken würde. Aber natürlich hat das nicht funktioniert. Nichts ist perfekt, nicht einmal der perfekte Tag, auch wenn ich Calli und Ben die Erinnerung in den Kopf gesetzt habe, dass es so war. Was ich an der Geschichte ausgelassen habe, war, dass Griffs Hände, während er Calli umhertrug, so sehr gezittert haben, dass ich Angst hatte, er würde sie fallen lassen. Ich erinnere mich daran, Griff gebeten zu haben, sie mir wiederzugeben, mir alle möglichen Ausreden ausgedacht zu haben, warum ich sie zurück in meinen Armen brauchte. Wir mussten üben zu stillen, sie war müde, er sah müde aus. Aber ich konnte ihm nichts vormachen. Ich konnte es in

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