Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Flüstern der Stille

Das Flüstern der Stille

Titel: Das Flüstern der Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ivonne Senn Heather Gudenkauf
Vom Netzwerk:
seinen Augen sehen, das verletzte Aufblitzen, als er bemerkte, dass ich ihm nicht zutraute, unser Baby zu halten.
    In der Woche, bevor Calli geboren wurde, hatte er nicht einen Tropfen getrunken. Bevor er das letzte Mal nach Alaska abgereist war, war es so schlimm gewesen, sehr schlimm. Er hatte eine Grenze überschritten, eine von vielen, die ich ihm im Laufe der Jahre gesteckt hatte. In der ersten Nacht, in der er vor Callis Geburt wieder zu Hause war, hatte er an meiner Seite im Bett gelegen, die Hand auf meinem dicken Bauch, und hatte mir versprochen, sich zu ändern. Er hatte leise an meiner Schulter geweint, und ich weinte mit ihm. Ich habe ihm geglaubt. Wieder einmal. Er könne es schaffen, mit meiner Hilfe könne er mit dem Trinken aufhören, hatte er versprochen.
    Aber in der Nacht, als Calli geboren wurde, als seine Hände so sehr zitterten, während er mein Baby trug, wusste ich, dass er dieses Versprechen nicht halten konnte, zumindest noch nicht. Bei Anbruch der Morgendämmerung verließ er das Krankenhaus, während Ben und ich noch schliefen und Calli sicher in ihrem Bettchen im Säuglingszimmer lag. Er ging und kam Stunden später wieder. Seine Augen schimmerten glasig, und ich konnte den Alkohol in seinem Atem riechen, als er mich auf die Wange küsste. An diesem Morgen hielt er Calli fest und sicher, und seine Hände zitterten nicht mehr.
    „So, Calli, jetzt haben wir’s geschafft“, unterbricht Dr. Higby meine Gedanken. „Alles versorgt. Das Schlimmste ist vorbei. Jetzt wollen wir dich nur noch schnell ein wenig waschen. Du hast ganz schön viel Glück gehabt, kleine Calli.“
    Ich sehe, wie Callis ruhiges Gesicht für einen Moment einfriert, dann verändert sich ihr Gesichtsausdruck. Ihre Augen treten hervor, und ihre Haut nimmt eine kränkliche blasse Farbe an. Dr. Higby wirft Molly einen Blick zu, und sie hebt fragend die Schultern. Sie hatte Callis Füße nicht angerührt. Callis Mund verzieht sich zu einer hässlichen Grimasse, als ob sie schreit; sie zittert nicht vor Kälte oder Schmerzen, sondern vor Panik. Hilflos schaue ich mich um, als ihre stummen Schreie in meinem Kopf widerhallen.
    „Was ist los?“, frage ich sie. „Was ist los, Calli?“ Aber sie zuckt nur beinah krampfhaft. Molly und ich halten sie fest, damit sie nicht von der Liege fällt. „Was ist los?“, wimmere ich, während sich die Tränen hinter meinen Lidern sammeln. Ich bemerke, dass Molly und Dr. Higby nicht Calli anschauen, sondern einen Punkt über meiner Schulter. Während ich Calli weiter festhalte, die um sich tritt und sich windet, drehe ich mich um und sehe, was ihre Aufmerksamkeit fesselt. In der Tür steht Ben, schlimm zusammengeschlagen, seine Kleidung blutig und zerrissen. Bei seinem Anblick werden meine Knie weich. Mit Angst in den Augen sieht er Calli an.
    „Was ist mit ihr?“, fragt er mich über ihren Kopf hinweg. Seine Stimme klingt so jung.
    Ich antworte ihm nicht. Ich will so sehr zu ihm hingehen und ihn in meine Arme ziehen. Ich winke ihm mit einer Hand, zu mir zu kommen, aber er bleibt wie angewurzelt stehen.
    „Ich werde ihr ein Beruhigungsmittel spritzen, Mrs. Clark“, sagt Dr. Higby. Es dauert ein paar Minuten, bis die Wirkung einsetzt; bald wird Calli ruhiger, das Zittern verebbt, und ihre Augen schließen sich. Sie klammert sich immer noch an mein Hemd, zieht mich nah an sich heran. Es scheint, als ob sie versucht, mit mir zu sprechen, aber ihre Lippen sind schlaff und können die Worte nicht formen.
    „Was, Calli? Was ist es? Bitte, sag es mir“, flüstere ich ihr ins Ohr. Aber sie ist eingeschlafen, und was auch immer ihr solche Angst gemacht hat, ist zurück in sein Loch gekrochen und schläft ebenfalls, zumindest für den Augenblick.

Martin
    Als wir vor dem Haus meiner Schwiegermutter vorfahren, sehe ich, dass die Reporter schon weg sind, aber ein fremdes Auto steht noch in der Einfahrt. Ich danke dem Officer, und er bietet mir an zu bleiben, bis wir uns auf den Weg nach Iowa City machen. Er will uns begleiten, damit wir schnell und sicher dort ankommen. Aber ich lehne erneut dankend ab. Wir schaffen das schon. Wir werden auch allein zu Petra kommen. Meine Beine fühlen sich schwer an, als ich zur Haustür gehe, es ist der Schmerz von den Anstrengungen des Tages. Meine Hose ist dreckig, und auf meinem Hemdkragen habe ich Blut von Ben. Ich versuche, meine Haare zu bändigen, indem ich meine Hände auf die drahtige Masse drücke, aber ich weiß, dass es sinnlos ist. Meine Brille

Weitere Kostenlose Bücher