Das Flüstern der Stille
Kopf. „Meine Güte, wenn du was sagen willst, dann sag es, Calli!“, rief Mrs. Hample gereizt.
„Sie ist schüchtern. Sie redet nicht. Sie muss …“ Petra versuchte, es zu erklären, aber Mrs. Hample stoppte sie mit einer Handbewegung.
„Petra, du wirst die Pause wohl an der Wand stehend verbringen, weil du mir nicht zuhörst“, bellte sie. „Und Calli, wenn du mir nicht sagst, was du willst, dann kannst du genauso gut so lange an deinem Tisch sitzen bleiben, bis du dich eines Besseren besinnst. Der Rest von euch stellt sich jetzt in einer Schlange auf für die Pause.“
Und so saß Calli mit zusammengepressten Beinen auf ihrem Platz, während Petra ganz hinten in der Reihe stand, die sich vor der Tür formierte, um in die Pause zu gehen. Doch anstatt mit den anderen Kindern nach draußen zu laufen, schlüpfte Petra die Treppe hinauf und den Flur entlang in das Büro von Mr. Wilson. Der Psychologe saß an seinem Tisch und telefonierte, aber als er den verzweifelten Ausdruck auf Petras Gesicht sah, legte er schnell auf.
„Petra, guten Morgen. Was ist los?“, fragte er.
„Es ist die Ersatzlehrerin“, flüsterte Petra, als habe sie Angst, Mrs. Hample könnte sie hören. „Sie ist gemein. Ich meine, wirklich gemein.“
Mr. Wilson unterdrückte ein Lächeln. „Ich weiß, dass Ersatzlehrer nicht so sind wie die richtigen Lehrer, Petra, aber du musst trotzdem auf sie hören.“
„Das tu ich auch, aber es geht um Calli. Sie war richtig fies zu Calli. Sie lässt sie nicht zur Toilette gehen.“
„Was meinst du damit?“, fragte Mr. Wilson.
„Ich habe versucht, Calli zu helfen, wie ich es immer tue, indem ich für sie antworte, aber Mrs. Hample lässt mich nicht. Calli hat versucht, ihr zu zeigen, dass sie auf die Toilette muss, aber Mrs. Hample sagt: ‘Wenn du es nicht selber sagen kannst, dann kannst du auch nicht gehen!’„, sagte Petra und klang verblüffend ähnlich wie Mrs. Hample.
„Komm mit, Petra. Wir gehen der Sache auf den Grund.“
„Nein!“, rief Petra aus. „Ich soll doch draußen sein und während der Pause an der Wand stehen. Wenn sie erfährt, dass ich Ihnen davon erzählt habe, kriege ich richtig Ärger!“
„Dann gehst du raus und stellst dich an die Wand. Ich werde mal nach Calli sehen und dann Mrs. Hample aufsuchen. Und Petra – du bist eine gute Freundin. Calli hat Glück, dich zu haben“, setzte Mr. Wilson hinzu, und Petra lächelte ihn mit ihrem breiten, zahnlosen Grinsen an.
Mr. Wilson ging zu dem Klassenraum, schaute durch das Fenster in der Tür und sah Calli an ihrem Tisch sitzen, den Kopf vorgebeugt, die langen Haare vor dem Gesicht. Er trat ein, stellte sich neben Calli und sah zu, wie dicke Tränen auf das braungraue Papier vor ihr tropften und sich langsam ein feuchter Fleck bildete.
„Hey, Calli, bist du bereit für unsere Sitzung?“, fragte er sie mit fröhlicher Stimme. Calli schaute ihn überrascht an. Sie trafen sich niemals am Freitag, immer nur dienstags und donnerstags und nur am späten Nachmittag kurz vor Schulende.
„Es tut mir leid, dass ich zu spät bin.“ Mr. Wilson warf einen besorgten Blick auf seine Uhr. „Ich wurde in einer Besprechung aufgehalten. Komm, lass uns nach oben in mein Büro gehen.“ Calli stand auf und sah ängstlich zu Mrs. Hample hinüber. „Ich werde sie in ungefähr zwanzig Minuten zurückbringen, rechtzeitig zur Mittagspause.“ Diese letzten Worte richtete Mr. Wilson an Mrs. Hample.
„Sie sollte in einer Sonderklasse sein. Sie redet nicht, wissen Sie“, sagte die Lehrerin, als ob Calli auch nicht hören könnte. „Oder vielleicht in der Klasse mit den verhaltensgestörten Schülern. Sie ist einfach nur dickköpfig. Wo kommen wir denn da hin, nicht zu reden …“
„Alle unsere Schüler sind etwas Besonders, und Calli ist genau da, wo sie hingehört. Sie werden für den Rest des Tages nicht mehr benötigt, Mrs. Hample. Sie können sich im Sekretariat austragen. Danke schön.“
Als Calli auf der Toilette fertig war, schickte er sie zu den anderen spielenden Kindern nach draußen. Mrs. Hample ging und kam nie wieder, und für den Rest des Tages war Mr. Wilson ihr Ersatzlehrer. Als Calli an diesem Tag von der Schule nach Hause kam, hatte sie einen Brief von Mr. Wilson für ihre Mutter im Ranzen. Calli beobachtete ihre Mutter sorgfältig, als sie den Brief las. Mit jeder Zeile wurde ihr Gesichtsausdruck trauriger. Zum Schluss legte sie den Brief zur Seite und bat Calli zu sich.
„Petra ist ein nettes
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