Das Flüstern der Stille
würde. Mom nahm den Behälter mit der Eiscreme aus dem Gefrierfach und griff in das obere Regal nach einem Waffelhörnchen.
Oh, dachte ich, sie nimmt ein Hörnchen, ganz große Bestechung heute. Mom fing an wie immer: „Willst du Eis, Calli? Hm, was haben wir denn hier. Tin Roof Sundae! Dein Lieblingseis, Calli!“
„Woher weißt du das?“, konnte ich mir nicht verkneifen zu fragen.
„Was?“, fragte Mom zurück, während sie mit dem Eisportionierer hantierte.
„Woher weißt du, dass Tin Roof Sundae immer noch ihr Lieblingseis ist?“, fragte ich, und Mom schaute mich verwirrt an.
„Ich weiß es einfach“, erwiderte sie. „Guck mal, Calli, Waffelhörnchen.“
„Sie mag die Erdnüsse darin nicht mehr. Sie isst immer drum herum“, sagte ich.
„Ben, geh spielen“, forderte Mom mich auf. Ihre Stimme klang in meinen Ohren etwas hochnäsig.
„Nein, das hier ist blöd“, sagte ich laut und überraschte mich damit selbst.
„Ben, geh spielen“, wiederholte Mom und klang diesmal, als wenn sie es ernst meinte.
„Nein! Calli kann nicht sprechen! Sie kann es nicht! Egal, wie viel Eis du ihr gibst oder Kekse oder Bonbons. Sie wird nichts sagen. Sie kann nicht reden!“, schrie ich.
„Sei still, Ben“, sagte Mom ganz ruhig.
„Nein!“ Ich schaute ihr direkt in die Augen, forderte sie heraus, mich zum Schweigen zu bringen. „Wenn du wissen willst, warum sie nicht spricht, frag Dad.“ Ich erinnere mich daran, mich umgeschaut zu haben, ob er mich hören konnte, auch wenn ich wusste, dass er auf Reisen war.
„Ben, hör auf!“, schrie meine Mutter zurück. Ihr Kinn zitterte.
„Nein!“ Ich nahm ihr den Eisportionierer aus der Hand und ging zur Hintertür, öffnete sie und warf das Ding hinaus in den Garten. Ich weiß nicht, warum, aber es schien mir zu dem Zeitpunkt einfach das Richtige zu sein.
Die ganze Zeit über hast du einfach nur dagesessen, Calli, mit deinen großen Augen, voller Angst. Dann, als das Geschrei anfing, hast du dir die Hände auf die Ohren gepresst und die Augen zugemacht.
Eine Minute lang dachte ich, Mom würde mich schlagen. Sie hatte den gleichen Ausdruck in den Augen, den ich von Dad kannte.
Ich schrie: „Na los, mach schon, schlag mich! Du wirst sowieso immer mehr wie Dad. Ein großer Tyrann, der alle dazu bringt, das zu tun, was er will, egal wie!“
Ich rannte und rannte und rannte. Ungefähr so wie heute. Nicht sonderlich mutig, was? Die Nacht habe ich in dem alten Baum am Willow Wallow verbracht. Du und Mom habt nach mir gesucht, und ich saß ganz still auf meinem Ast, habe auf euch heruntergeschaut, gedacht, dass ihr mich nicht seht. Aber ich habe dich erwischt, wie du zu mir hinaufgeblinzelt hast. Du hast mir kurz zugewinkt, und ich habe zurückgewinkt. Mom musste erraten haben, wo ich war, denn sie kam später noch einmal wieder mit einer Papiertüte voller Sandwichs und Limonade.
Sie stellte sie an den Fuß des Baums und sagte zu dir: „Ich stelle das hier für Ben hin, Calli, damit er etwas zu essen hat, falls er Hunger bekommt.“
Ich habe den ganzen Tag und die gesamte Nacht in dem Baum verbracht. Ich bin nur einmal hinuntergeklettert, um mir die Tüte zu holen und zu pinkeln. Du bist an dem Tag noch ein paarmal mit Mom vorbeigekommen, um nach mir zu sehen, und jedes Mal habe ich gedacht, dass Mom jetzt versuchen wird, mich zu überreden runterzukommen. Aber das tat sie nicht. Sie legte nur ein altes Kissen und eine Decke auf den Boden unter dem Baum.
Ich habe in dem alten Baum geschlafen und bin am nächsten Morgen hinuntergeklettert, ganz steif und wund, aber ich hatte es getan. Mom wurde nicht wütend, wie ich es erwartet hatte. Sie hat über die ganze Sache kein Wort verloren. Allerdings hat sie aufgehört, dich mit Eiscreme zum Reden bringen zu wollen. Sie hat es nie wieder getan. Oh, es gab weiterhin Eis, aber es gab niemals mehr Tin Roof Sundae und „Sag bitte , Calli“.
Calli, wenn du heute heil nach Hause kommst, kaufe ich dir das größte Eis ohne Nüsse, das ich mir mit meinem Geld vom Zeitungsaustragen leisten kann.
Calli
Langsam wanderte Calli den Pfad entlang. Er führte auf eine goldene Wiese. Die zarten Blütenstände der wilden Möhren winkten ihr zu. So weit war sie noch nie gekommen, aber unter dem offenen Himmel fühlte sie sich sicherer. Es gab weniger Schatten und weniger Verstecke hinter den Bäumen. Orangefarbene Tigerlilien säumten den Pfad, genau wie verwelkende Kornblumen.
Petra nannte sie immer violette
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