Das Flüstern der Stille
gehabt hätte. Dass, wenn Fielda nicht diesen Muffin nach mir geworfen hätte, ich heute sehr wahrscheinlich ein einsamer alter Mann wäre. Er hatte darüber gelacht, aber das Lächeln hatte seine Augen nicht erreicht.
„Kann ich die haben?“, fragte Petra und zeigte auf die Maraschino-Kirsche, die Lucky an den Rand des Eisbechers geschoben hatte.
„Natürlich“, antwortete er und nahm sie mit seinem Löffel auf und ließ sie in Petras offenen Mund fallen. „Ja“, sagte er und schüttelte den Kopf, als wenn er sich an etwas erinnerte. „Ich würde Petra auch nicht in die Nähe von Griff Clark lassen.“
Ich stimmte ihm bereitwillig zu. In diesem kurzen Moment auf dem Schulflur hatte ich das eine Prozent Bösartigkeit gesehen, dass Männer wie Griff Clark der Welt nur zufällig zeigen. Es macht mir Angst, wozu er fähig ist, was er meiner Tochter angetan haben könnte. Mich überläuft ein Schauer, eigentlich eine Unmöglichkeit bei siebenunddreißig Grad. Aber andererseits, im Moment scheint alles möglich zu sein.
Ich gehe zu Mrs. Norlands Haus hinüber und überlege mir sorgfältig, was ich zu Antonia und Deputy Louis sagen werde, um sie davon zu überzeugen, mich in den Wald zu begleiten.
Calli
„Calli.“ Sie hörte die Stimme, ruhig, beinah liebevoll, aber die gleiche Angst, die ihr vor wenigen Augenblicken die Kehle zugeschnürt hatte, kehrte zurück. Griff stand vor ihr, grau im Gesicht. Er sah krank aus.
„Calli, hör jetzt auf mit dem Unsinn. Komm hierher. Lass uns nach Hause gehen. Willst du nicht sehen …“ Seine Stimme verstummte allmählich, als er näher an Calli herantrat und die vor ihm liegende Szene in sich aufnahm. Zuerst Petras zerschmetterter Kopf, das verfärbte Gesicht und der zerschundene Hals.
„Jesus, was ist denn hier passiert? Calli, was ist mit ihr geschehen?“
Calli stand stumm auf, wog ihre Optionen ab. Wohin sollte sie gehen? Hinter ihr die tiefe Schlucht, vor ihr Griff, der ihr den Weg versperrte.
„Calli“, rief er scharf. „Was ist passiert? Sag es mir!“ Grob packte er sie an der Schulter, ließ sie aber sofort wieder los, als er etwas zwischen den Disteln bemerkte. Er beugte sich hinunter, um es aufzuheben, hielt es zwischen seinen Fingern, ein schmutziger, zerrissener Lumpen, weiß mit zierlichen gelben Blumen.
„Jesus“, wiederholte er und sah erneut zu Petra. Sein Blick wanderte über ihren leblosen Körper, das schmutzige blaue Schlafanzugoberteil, ihre nackten, zerschrammten Beine, besprenkelt mit Blut.
„Jesus.“ Griff drehte sich hastig um und würgte, spuckte bittere gelbe Galle aus. Er atmete tief ein, würgte erneut, laute, trockene Atemzüge folgten, aber es kam nichts mehr.
Calli nutzte die Gelegenheit, als Griff vornübergebeugt dastand und die Hände auf seinen sich verkrampfenden Magen drückte, um den Felsen hinunterzurutschen und sich an ihrem Vater vorbeizustehlen. Aber sie zog sich nicht in den Wald zurück.
„Calli“, keuchte Griff. „Calli, wer hat das getan? Weißt du, wer es war?“ Gedankenlos wischte er sich seine Hände an dem fleckigen Blumenstoff ab. Als ihm bewusst wurde, was er da in der Hand hielt, ließ er es so schnell zu Boden fallen, als hätte er sich verbrannt. Er stolperte zu Petra hinüber und legte eine zittrige Hand an ihr Handgelenk, dann an ihren Hals, drückte, fühlte nach ihrem Puls. Er schüttelte den Kopf.
„Ich weiß es nicht.“ Er fiel auf die Knie, legte sein Ohr an ihre Brust und hielt dann seine Finger unter ihre Nase, fühlte nach dem warmen Hauch ihres Atems.
„Calli.“ Er schaute sie an. „Wer hat ihr das angetan?“
Sie beide hörten das Rascheln zwischen den Bäumen, harte, schwerfällige Schritte.
„Calli! Calli!“ Calli und Griff erkannten die Stimme von Ben, als er durch das Gebüsch brach und sich zwischen Griff und Calli stellte. „Lass sie in Ruhe. Geh weg!“
„Ben, was machst du hier?“, fragte Griff ehrlich überrascht.
„Lass sie in Ruhe!“, schrie Ben erneut, suchte mit seinem Blick nach etwas, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, einem Stock, einem Stein.
„Ben, halt den Mund!“, brüllte Griff ihn an und stand auf. „Wir müssen Hilfe holen.“
Bens Blick huschte zu Calli, dann zu Petra, dann zurück zu Griff. „Lauf, Calli“, flüsterte er. „Da entlang.“ Er zeigte auf den Weg, den er gekommen war. „Folge ihm ganz nach unten. Er bringt dich zum Bobcat Trail. Lauf, Calli, und bleib nicht stehen.“
„Ben, halt jetzt den Mund“, sagte
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