Das Flüstern der Toten (German Edition)
ängstliches Flüstern heraus. »Ich kriege bloß Ärger.«
»Charlotte, Süße, ich will doch nur wissen, ob es ihr gut geht.« Sie trat vor und kniete sich neben mich, die Trauer schnürte ihr die Kehle zu.
Ich aber drehte mich hastig um und lief weg, versteckte mich hinter einem Papierkorb, während Mrs Johnson heulend auf die Parkbank sank. Da erschien Bianca neben ihr und strich ihr mit der Hand übers Haar.
Den Fehler sollte ich nicht noch mal machen. Es war besser, den Mund zu halten. Ich kannte die Konsequenzen, doch ich tat es trotzdem. Ich schlich mich an und versteckte mich im Gebüsch hinter der Bank. »Es geht ihr gut, Mrs Johnson.«
Die Frau wandte sich zu mir um, nickte und legte den Kopf schief, um mich hinter den Büschen erkennen zu können. »Charley?«
»Äh, nein, ich heiße Captain Kirk.« Ich war nicht gerade die Einfallsreichste. »Bianca hat mich gebeten, Sie daran zu erinnern, dass Sie Rodney regelmäßig füttern, und es tut ihr leid, dass sie die Porzellantasse Ihrer Großmutter zerbrochen hat. Sie dachte, Rodney hätte bessere Tischmanieren.«
Mrs Johnson schlug sich die Hände vor den Mund. Sie stand auf und kam um die Bank herum, aber ich wollte nicht wieder eine Ohrfeige kassieren. Darum nahm ich Reißaus. Ich wollte nach Hause laufen und nie wieder ein Wort über die Verstorbenen verlieren. Doch sie ließ nicht locker! Sie rannte mir nach und pflückte mich vom Erdboden wie ein Adler seine Beute aus einem See.
Ich dachte daran zu schreien, doch Mrs Johnson drückte mich an sich, für mindestens, tja, weiß nicht, jedenfalls ziemlich lange. Sie ließ sich mit mir zu Boden sinken und wurde von Weinkrämpfen geschüttelt. Bianca stand neben uns, strich ihrer Mutter lächelnd übers Haar, dann verschmolz ihre Gestalt mit mir. Ich nahm an, dass sie ihrer Mutter alles übermittelt hatte, was sie ihr noch hatte sagen wollen – schien eine äußerst wichtige Tasse gewesen zu sein – , und dass sie nun glaubte, gehen zu können. Beim Übergang roch sie nach Maischips und Kool-Aid mit Traubengeschmack.
Mrs Johnson wiegte mich noch eine Zeit lang im Arm, dann kam mein Vater in seinem Streifenwagen. Sie hörte auf und sah mich an. »Wo ist sie, Liebes? Hat sie es dir gesagt?«
Ich senkte den Kopf. Ich wollte es ihr nicht sagen, andererseits schien sie es unbedingt wissen zu wollen. »Bei der Windmühle hinter den Bäumen. Der Suchtrupp hat an der falschen Stelle gesucht.«
Da weinte sie noch ein bisschen, besprach dann aber mit meinem Vater, was sich gerade zugetragen hatte, während ich den Großen Bösen beobachtete, der in einiger Entfernung wartete. Sein schwarzer Kapuzenmantel bauschte sich mit der Spannweite dreier Bäume im Wind. Ein großartiger Anblick. Außer vor ihm hatte ich mich in meinem ganzen Leben vor nichts gefürchtet. Als Mrs Johnson mich abermals umarmte, löste er sich vor meinen Augen in Luft auf, und am Nachmittag wurde endlich Biancas Leiche gefunden. Am nächsten Tag bekam ich eine Riesentraube Luftballons und ein neues Fahrrad, das Denise mich nicht behalten lassen wollte. Doch seitdem erhielt ich jedes Jahr zu Biancas Geburtstag bunte Luftballons und eine Glückwunschkarte, auf der nichts stand außer »Danke«.
Diese Erfahrung lehrte mich zwei Dinge: Erstens, dass die meisten Menschen nicht an meine Gabe glauben würden, nicht mal die, die mir am nächsten standen. Und zweitens, dass sie für den verzweifelten Wunsch der Hinterbliebenen, Gewissheit zu erlangen, wenig Verständnis hatten.
Aber ganz gleich, was am Ende dabei herausgekommen war, ich hatte Menschen Leid beschert. Und seitdem noch vielen anderen. Ich hätte mich vergewissern müssen, ob Rosie Herschel auch wirklich an Bord ihres Fliegers ging. Ich hätte sie bis zum Sicherheitscheck bringen und einem Flugbegleiter einen Zwanziger zustecken sollen, damit sie auch auf ihrem Platz sitzen blieb. Zeke konnte sie unmöglich vor dem Abflug gefunden haben. Da war er noch mit mir zusammen. Hatte er sie umgestimmt? Bestimmt nicht! Sie hatte sich gefühlt wie ein Kind in der Schokoladenfabrik, ihre Vorfreude auf das neue Leben, das sie erwartete, war grenzenlos gewesen. Die enorme Belastung, unter der ständigen Androhung von Gewalt zu leben, war bereits von ihren Schultern abgefallen. Nein, sie hatte ihre Meinung bestimmt nicht geändert. Doch anstatt meine Klientin zu schützen, ließ ich mich auf einen Boxkampf mit ihrem widerlichen Ehemann ein.
Und genau da lag der Hase im Pfeffer: Sie hatte mir
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