Das Flüstern der Toten (German Edition)
leise: »Oder Gold. Das würde zu Ihren Augen passen.«
»Ich würde einfach mitgehen«, meinte Elizabeth.
Die beiden anderen Anwälte räusperten sich anständigerweise und verließen mein Büro. Elizabeth folgte ihnen widerstrebend in den Empfangsbereich, den, was niemand vergessen durfte, auch Cookie vehement für sich beanspruchte.
Während Garrett darauf wartete, ob ich mich zum Kaffee mit ihm verführen ließ, erkannte ich aus den Augenwinkeln einen Schemen, der mich an Superman auf dem Sprung erinnerte. Er bewegte sich so schnell, dass er, als ich mich umdrehte, längst verschwunden war. Nun befand er sich auf meiner anderen Seite, streifte meinen Arm, berührte federleicht meinen Mund, tauchte in mich ein, breitete sich in meiner Magengrube aus und überflutete meinen Körper mit Wärme.
Mein Innerstes erbebte, und erschrocken keuchend fuhr ich zurück. Garrett kam mir einen Schritt nach, packte meine Arme und verhinderte so, dass ich stürzte. Erst da sah ich seinen verdutzten Gesichtsausdruck. Er zog mich näher an sich heran. Im selben Moment fühlte ich mich wieder normal, aber Garrett prallte zurück, als hätte er einen kräftigen Schubser bekommen.
Er strauchelte, fing sich und blickte mich an. Wir waren beide sprachlos und machten große Augen. Damit meine Knie nicht nachgaben, ließ ich mich gegen meinen Schreibtisch fallen.
»War das … einer von denen?«, wollte er wissen, während er sich, wo ihn der Stoß erwischt hatte, geistesabwesend die Brust rieb. Er blickte wild um sich, dann sah er mich mit besorgter Miene düster an.
»Nein«, antwortete ich und versuchte, wieder zu Atem zu kommen, »das war etwas vollkommen anderes.«
Was, wusste ich nicht, aber ich hatte eine Vermutung, und die gefiel mir überhaupt nicht. Konnte es der Große Böse gewesen sein? Aber falls ja, warum kam er zu mir? Und warum jetzt? Mein Leben schien nicht unmittelbar in Gefahr zu schweben.
Angst konnte ich nur schlecht verbergen, weil ich selten Angst hatte. Und sie entging Garrett bestimmt nicht. Der Gedanke, dass er mich so sah, verdross mich ziemlich.
Dann fiel mir etwas anderes ein. Wann immer mir der Böse begegnet war, hatte er mich nicht unmittelbar gestreift . Er hatte mich überhaupt nicht berührt, und er war ganz sicher nicht in mich eingetaucht, um in meinen unteren Regionen zu schwelgen. Womöglich war es ja gar nicht der Böse.
Ich sah mich im Raum um, vermutlich machte ich einen leicht verzweifelten Eindruck. Reyes? Konnte er das gewesen sein. War er am Ende … eifersüchtig? Auf Swopes? Doch wohl nicht im Ernst, oder?
Ich lief zur Tür und fragte in die Runde: »Habt ihr irgendwen gesehen? Ist er hier durchgekommen?«
Elizabeth, die auf unserem salbeigrünen Empfangssofa gesessen hatte, sprang auf und rief: »Ist er weg? Wie konnten Sie ihn gehen lassen?«
»Nicht Garrett«, gab ich möglicherweise eine Spur zu ungeduldig zurück. »Der dunkle Schemen.«
Cookie kapierte allmählich, dass wir nicht allein waren. Sie huschte von ihrem Platz weg, als läge eine Kobra auf dem Empfangstisch. »Charley, Schatz, sind Klienten hier?«
»Oh, ja, hab ich vergessen, dir zu sagen. Hört mal alle her, das ist Cookie. Cookie, die drei Rechtsanwälte, die uns letzte Nacht verlassen haben, sind hier. Von denen ich dir erzählt habe. Wir bearbeiten ihren Fall zusammen mit Onkel Bob. Also, hat ihn irgendwer gesehen?«
Die Anwälte befragten einander mit Seitenblicken und Schulterzucken. Ich ließ meinen Lippen ein unglückliches Seufzen entfleuchen und sank kraftlos gegen den Türpfosten.
Sie denken vielleicht, dass ich als Schnitterin über Beziehungen oder über andere Möglichkeiten verfüge, mit deren Hilfe sich die Identität des Schemens feststellen ließe. Aber da meine einzige Beziehung zur anderen Seite eben im Großen Bösen beziehungsweise der Verkörperung des Todes bestand, wäre das mit der Hilfe eher schwierig.
Da fiel mir in einer Ecke ein seltsamer Schatten auf, der im Morgenlicht Wellen schlug und sich permanent veränderte. Das war er. Das musste er sein. Ich straffte mich, löste die Finger vom Türpfosten und näherte mich behutsam ein paar Schritte, um ihn nach Möglichkeit nicht zu verscheuchen.
»Darf ich dich sehen?«, fragte ich mit allzu zittriger Stimme.
Alle starrten in die Ecke, doch nur die Anwälte konnten ihn erkennen. Alle drei wichen ängstlich zurück, so synchron, dass die Bewegung einstudiert wirkte, während ich beschwörend vortrat.
»Bitte, lass mich dich
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