Das Flüstern der Toten (German Edition)
halbherzig. »Mein Leben würde ich nicht darauf wetten.«
»Dazu ist es eh zu spät«, bemerkte Elizabeth, die den Blick nicht von dem Foto wandte, während ihre Miene verschiedene Abstufungen von Abscheu durchlief.
Onkel Bob klappte sein Handy zu. »Carlos Rivera. Sein Vorstrafenregister ist so umfangreich wie mein legendäres und allseits beneidetes Gedächtnis.«
»Also keine Vorstrafen«, sagte ich glucksend.
Er kniff die Augen zusammen und tippte sich mit dem Zeigefinger an die Stirn. »Ich hab ein Gedächtnis wie eine Bärenfalle.«
»Ja, bloß nicht an dem Tag, wo du mich aus Dads Auto holen und ins Bett bringen solltest, während er mit dem Shaker eine Runde Margaritas mixte. Ich bin halb erfroren um halb zwei in der Frühe auf dem Rücksitz wach geworden, während du dich nebenan mit Mrs Dunlop amüsiert hast.«
Er richtete seine Krawatte. »Ich führe diesen Zwischenfall auf Alkoholmissbrauch zurück«, grummelte er. Auf seinem Gesicht breitete sich ein merkwürdig schmeichelhaftes Rot aus, für das sich das Ganze bereits gelohnt hatte.
Um noch eins draufzusetzen, schüttelte ich vorgeblich enttäuscht den Kopf. »Hauptsache, du kannst ruhig schlafen, mein lieber Onkel mit dem Hang zu fahrlässiger Tötung.«
Elizabeth gluckste.
Onkel Bob nicht. »Wie wär’s, wenn wir die Anklagen dem Staatsanwalt überließen?« Ehe ich etwas dagegen einwenden konnte, sagte er: »Mr Rivera trieb im Rio Grande.«
»Vielleicht hatte er Durst«, schlug ich vor.
»Hast du schon mal aus dem Rio Grande getrunken?«
»In letzter Zeit nicht«, antwortete ich und fragte mich, wann er es getan haben mochte. Und wieso. Und ob er seitdem irgendwelche Parasiten hatte. »Barber meint, das könnte der Typ sein, der sich heimlich mit ihm treffen wollte.«
Onkel Bob beugte sich interessiert vor. »Ach, tatsächlich?«
»Ja.« Während Barber mir von der Sache berichtete, gab ich die Informationen an Onkel Bob weiter, der natürlich alles auf seinem Notizblock festhielt.
»Der Mann hat mich angerufen«, erklärte Barber und glitt auf einen Stuhl, den ich eben herangezogen hatte. Elisabeth tat es ihm gleich, doch Sussman ging zum Fenster und ließ, während wir sprachen, den Blick über das Universitätsgelände auf der anderen Seite schweifen. »Als Treffpunkt schlug er eine Gasse vor, was mir ziemlich seltsam vorkam. Dabei klang er, ich weiß nicht, irgendwie verzweifelt.«
»Kann er uns beschreiben, wie er sich verhalten hat?«, fragte mich Onkel Bob.
»Er war nervös«, sagte Barber. »Hektisch. Dauernd blickte er über die Schulter und sah auf die Uhr. Er kam mir vor, als hätte er irgendwas eingeworfen.«
»Und Sie haben ihm trotzdem zugehört?«, fragte ich und störte damit Onkel Bobs Verhör.
»Er meinte, er hätte Informationen über einen unserer Klienten«, sagte Elizabeth. »Jason konnte nicht anders, er musste ihn anhören.«
»Was für Informationen?«, wollte ich wissen, wobei mir nicht entging, dass sie unwillkürlich für ihn Partei ergriff. Interessant.
Durch Barbers Bericht erfuhren wir, dass es einen Mann gab, der für sehr lange Zeit ins Gefängnis wandern würde, der bis dahin aber kaum etwas Schlimmeres verbrochen hatte, als auf dem College mal an einem Joint zu ziehen.
Doch die kriminaltechnischen Untersuchungsergebnisse deuteten auf ein schweres Verbrechen hin: Die Polizei hatte in seinem Hinterhof einen ermordeten Teenager und im Haus seine Turnschuhe mit dem Blut des Jungen daran gefunden. Die Turnschuhe waren der letzte Nagel zu seinem Sarg. Dazu die Zeugenaussage einer Achtzigjährigen mit flaschenbodendicken Brillengläsern und entzündeten Füßen, und schon landete der Arme wegen Mordes vor Gericht. Die Frau sagte unter Eid aus, dass der Angeklagte den Jungen in seinem Hinterhof erstochen hatte. Hinter einem Schuppen. In einer dunklen, stürmischen Nacht. Die Dame hatte zweifellos zu viele Kriminalromane gelesen.
»Es war also dunkel«, sagte ich. »Und windig. Da hätte sie auch meine Großtante Lillian die Leiche dort verstecken sehen und für Ihren Klienten halten können.«
»Genau«, nickte Barber. »Nichtsdestotrotz wurde er wegen Mordes zweiten Grades verurteilt.«
»Kannte Ihr Klient den Jungen?«, wollte Onkel Bob wissen. Eine Frage, die sich auch mir als Nächstes aufgedrängt hätte.
Barber schüttelte den Kopf. »Er gab an, ihn noch nie im Leben gesehen zu haben.«
»Wie heißt Ihr Klient denn?«, kam ich Onkel Bob zuvor.
»Weir. Mark Weir. Er gab mir einen
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