Das Flüstern der Toten (German Edition)
Nach einem kurzen Vorgeplänkel – und der Kurzfassung meines Abends mit dem prügelnden Ehegatten in jener anderen Bar, die den Zustand meines Gesichts erklärte – erkundigte ich mich bei meinem Vater, ob jemand für mich eine Nachricht hinterlassen habe.
»Hier?«, fragte er. »Erwartest du denn welche?«
»Tja, ja und nein.« Rosie Herschel, mein erster Fall, der mit meiner Hilfe untergetaucht war, sollte mich nur anrufen, wenn irgendetwas aus dem Ruder lief, also wäre keine Nachricht eine gute Nachricht. Jeder anderweitige Kontakt war mir zu riskant, damit die Tatsache, dass sie das jämmerliche Leben mit diesem Arschloch von einem Gatten hinter sich gelassen hatte, nicht unnötig verbreitet wurde, auch wenn der Kerl nicht mal annähernd schlau genug war, um sich auszumalen, wie der Hase wirklich gelaufen war.
»Ja und nein ist keine Antwort auf meine Frage«, meinte Dad und wartete auf die Erläuterung.
»Aber sicher doch.«
»Aha«, sagte er. »Berufsgeheimnis. Schon klar. Ich sag dir Bescheid, wenn noch was eintrudelt.«
»Danke, Dad.«
Er lächelte, ließ das Lächeln einen Moment, wo es war, und beugte sich dann vor, um mir ins Ohr zu flüstern: »Aber wenn du noch mal mit einem blauen Auge und geschwollenem Gesicht in meiner Bar aufkreuzt, werden wir uns mal ausführlich über deine Berufsgeheimnisse und das alles unterhalten müssen.«
Verdammt. Und ich dachte, ich wäre noch mal davongekommen. Ich dachte, ich hätte ihn überzeugt, dass die Prügel eher eine berufliche Erfahrung als eine persönliche Katastrophe waren.
Ich ließ die Schultern hängen. »Gut«, sagte ich und legte die Andeutung eines Winselns in meine sonst so nüchterne Stimme.
Er küsste mich auf die Wange und trat hinter seinen Tresen. Donnie war offenbar noch nicht aufgetaucht. Donnie war ein stiller amerikanischer Ureinwohner mit langen, schwarzen Haaren und mörderischen Brustmuskeln. Er hielt so wenig von mir, dass er mir nicht mal die Tageszeit sagte, aber an Menschen, die das für ihn übernahmen, herrschte kein Mangel. Und Donnie war echt nett anzusehen.
Onkel Bob klappte sein Handy zu und widmete mir seine volle Aufmerksamkeit. Was mich verunsicherte. »Also«, begann er, »willst du mir jetzt sagen, was los war, als ich heute früh in dein Büro kam?«
Oh, das. Ich rutschte unbehaglich auf meinem Stuhl herum. Ohne ersichtlichen Grund in der Luft herumzufuchteln muss auf Unbeteiligte ziemlich albern wirken.
»Wie schlimm war’s denn?«, wollte ich wissen.
»Nicht schlimm. Ich dachte bloß, du hast eine Panikattacke oder so was. Aber dann fiel mir auf, wie Cookie und Swopes dich anstarrten, und daraus schloss ich, dass es nicht lebensgefährlich war.«
»Klar, sonst hätte sich Swopes bestimmt mit Mund-zu-Mund-Beatmung oder einer anderen heldenhaften Rettungsmaßnahme hervorgetan.«
Onkel Bob legte den Kopf schief und dachte zurück. »Wenn ich’s recht überlege, ist mir bei Cookie ein lüsterner Gesichtsausdruck aufgefallen.«
Aus meiner Kehle stieg ein blubberndes Gelächter auf. Ich konnte Cookies begeisterte Miene förmlich vor mir sehen. Onkel Bob übte sich derweil in Geduld, wölbte fragend seine buschigen Augenbrauen und wartete auf weitere Erklärungen.
Tja, leider kriegte er keine. »Weißt du, Onkel Bob, wir sollten dieses Thema lieber meiden, wo du doch mein Onkel bist und so.«
»Okay«, sagte er mit einem nonchalanten Achselzucken und tat so, als wollte er das Thema tatsächlich fallen lassen. Dann nahm er einen Schluck Eistee und fügte hinzu: »Swopes kam mir allerdings ziemlich durcheinander vor. Vermutlich kennst du den Grund dafür.«
»Und ob. Er ist ein Arschloch.«
»Er ist manchmal ein bisschen launisch, da gebe ich dir recht.«
»Ja, und ein Arschloch.«
»Aber für ihn spricht«, fuhr er fort und gab sich alle Mühe, mich zu besänftigen, »dass der Bruch zwischen euch beiden auf meine Kappe geht. Wenn ich bloß nichts gesagt hätte. Dieses verdammte Bier.«
»Schön, aber Bier hat Swopes nicht zum Arschloch gemacht. Ich bin mir sogar ziemlich sicher, dass er schon als Arschloch zur Welt gekommen ist.«
Onkel Bob holte lange und tief Luft, dann ließ er wirklich von dem Thema ab. »Ich sehe schon, das führt zu nichts, aber, Mann, Charley, ich muss meine Arbeit machen.« Ich blinzelte überrascht, und er grinste. »Ich geh mal deinen Vater schikanieren.« Damit stand er vom Tisch auf und klopfte mir auf die Schulter, was seine Art war, mir mitzuteilen, dass zwischen uns
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