Das Flüstern der Toten (German Edition)
heiße Schokolade, auf die umzusteigen Cookie mich gezwungen hatte.
Dann legte sie mir mit wissender Miene eine Hand auf die Schulter. »Was war im Park? Mit der kleinen Johnson?«
Ich versuchte, die Tasse so gleichmütig wie irgend möglich abzustellen. Der Gedanke an diese Johnson schmerzte wie die Berührung eines bloß liegenden Nervs. Ich hatte einer verzweifelten Mutter aus dem Loch helfen wollen, in das sie sich nach dem Verschwinden ihrer Tochter eingegraben hatte. Stattdessen hatte ich einen stadtweiten Skandal provoziert, der für meine Stiefmutter das Fass endgültig zum Überlaufen brachte. An jenem Tag hatte sie sich offen gegen mich gestellt und daran nie wieder etwas geändert.
Ja, damit war dieser Zwischenfall ein wunder Punkt in meiner Seele, andererseits gab es deren weit schlimmere. Manche offene Wunde wollte sich einfach nicht schließen, und Cookie wusste darüber so gut wie nichts.
»Ja«, sagte ich und hob mein Kinn. »Im Park. Das war meine dritte Begegnung mit ihm.«
»Aber dein Leben war da nicht in Gefahr. Oder doch?«
»Absolut nicht, aber womöglich dachte er, es wäre so. Er war stinksauer. Wahrscheinlich weil meine Stiefmutter mich vor all den Leuten zusammenstauchte.« Bei der Erinnerung ließ ich den Kopf hängen. »Und dann hat sie mich geschlagen. Das war schon ziemlich schockierend.« Ich blickte Cookie eindringlich an, denn mit einem Mal wollte ich, dass sie begriff, wie groß meine Angst vor ihm war. »Ich dachte, er bringt sie um. Er bebte buchstäblich vor Zorn. Ich konnte es spüren wie elektrische Spannung. Während meine Stiefmutter vor den Augen der halben Stadt auf mich losging, flehte ich ihn flüsternd an, ihr nicht wehzutun.«
Cookie presste mitleidig die Lippen aufeinander. »Das tut mir so schrecklich leid, Charley.«
»Schon gut. Ich weiß bloß nicht, wieso er mir solche Angst einjagt. Ich kann nicht glauben, was für ein Waschlappen ich manchmal bin.«
»Es tut mir auch leid, dass du solche Angst vor ihm hast, aber eigentlich meinte ich die Sache mit deiner Stiefmutter.«
»Oh, nein, mach dir nichts draus«, entgegnete ich kopfschüttelnd. »Das war ganz allein meine Schuld.«
»Aber du warst erst fünf.«
Ich schluckte krampfhaft, senkte den Kopf und sagte: »Du weißt ja nicht, was ich getan habe.«
»Solange du die Frau nicht mit Benzin übergossen und angezündet hast, glaube ich eigentlich nicht, dass sie angemessen reagiert hat.«
Auf meinem Gesicht machte sich ein schiefes Grinsen breit. »Ich kann dir versichern, dass bei der Entstehung dieser Erinnerung keinerlei petrochemische Produkte zu Schaden kamen.«
»Und was geschah dann? Mit dem Bösen?«
»Ich nehme an, er hat mich gehört. Jedenfalls verschwand er. Allzu glücklich war er darüber allerdings nicht.«
Cookie nickte verständnisvoll, dann sagte sie: »Jede Wette, dass er einmal auch auf dem College aufkreuzte.«
»Wow, du bist gut.«
»Weißt du, du hast mir mal erzählt, wie du abends auf dem Nachhauseweg von einer Vorlesung überfallen wurdest.«
»Ja, er war da. Er hat mich gerettet, genau wie damals, als ich vier Jahre alt war.«
Sie machte ein überraschtes Gesicht. »Vier? Was war denn, als du vier warst? Moment Mal, er hat dich gerettet, als du auf dem College überfallen wurdest? Wie denn?« Offenbar kriegte sie die vielen Fragen in ihrem Kopf nicht mehr sortiert. Mir wurde klar, dass meine Schilderung und Einschätzung des Großen Bösen Cookie den Eindruck vermittelt hatte, dass er, nun ja, eben groß und böse war. Und irgendwie war er das ja auch.
Trotzdem konnte ich ihr unmöglich verraten, auf welche Weise er mich gerettet hatte. Das konnte ich ihr nun wirklich nicht antun, jedenfalls nicht, ehe ich mir ganz sicher war, dass sie das Gehörte verarbeitet hatte.
»Er … hat den Kerl von mir abgelenkt.«
»Oh mein Gott, Charley. Ich hatte ja keine Ahnung … ich meine, so wie du davon erzählt hast, klang alles so unbedeutend. Und in Wahrheit war dein Leben in Gefahr?«
Achselzuckend gab ich zurück: »Vielleicht ein bisschen. Immerhin war ein Schnappmesser im Spiel. Ich wusste nicht mal, dass diese Dinger noch hergestellt wurden. Sind die nicht verboten?«
»Er taucht immer dann auf, wenn dein Leben bedroht wird«, wiederholte sie in Gedanken versunken, »und er hat dich gerettet, als du vier Jahre alt warst? Also, was war noch mal, als du vier warst?«
Ich setzte mich ein bisschen anders hin, was so ungeheuer wehtat, dass es sich kaum bewerkstelligen ließ.
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