Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Fluestern des Todes

Das Fluestern des Todes

Titel: Das Fluestern des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Wignall
Vom Netzwerk:
Madeleines Abfuhr im Nachhinein durchaus gerechtfertigt.
    Ella hatte sich umgezogen. Er brauchte einen Moment, bis er das sarongähnliche Kleid wiedererkannte, das sie in Florenz gekauft und auf der Fahrt in die Schweiz getragen hatte. Damals hatte er sie auf diffuse Weise attraktiv gefunden, doch inzwischen schien sie eine fast krankhafte Aura auszustrahlen. »Es ist ein schöner Tag«, sagte er. »Ich denke, wir sollten zu Fuß gehen.«
    »Klingt gut. Ein kleiner Spaziergang kann nicht schaden.« Sie schaute kurz zu den Bullaugen hinüber. Für eine Sekunde dachte er, sie wolle etwas sagen, doch dann wandte sie sich gedankenverloren ab. Das war ja das Problem – die Leute nahmen ein Aquarium eben nur als atmosphärisches Beiwerk wahr – am liebsten hätte er hier alles kurz und klein geschlagen.
    Es war ein angenehmer Spaziergang. Die Stadt war warm und voller Leben und wirkte inzwischen wieder beeindruckend und wohlhabend – ganz so, wie Budapest eigentlich immer hätte aussehen müssen. Ella schien fasziniert, sog die Eindrücke begierig auf und wies ihn gelegentlich wie eine Touristin auf besondere Sehenswürdigkeiten hin. Es war die Ella, die er am Anfang des Sommers kennengelernt hatte, das Mädchen, das hinter der darauf folgenden Trauer verschwunden war.
    »Chris und ich wollten eigentlich im Sommer hierherfahren«, sagte sie unvermittelt.
    »Ich weiß.«
    »Natürlich.« Sie lachte. »Wenn Sie mir damals erzählt hätten, unter welchen Umständen ich tatsächlich in Budapest landen würde … es ist ein bisschen so wie in Die Fahrt zum Leuchtturm .«
    Er nickte. »Ja, Virginia Woolf. Junge, bin ich froh, dass sie nicht mehr unter uns weilt.« Ella lachte erneut. Er mochte es, wenn sie lachte. »Es ist gleich hier um die Ecke.«
    »Ach so.« Er drückte auf die Klingel von Brunos Apartment. »Sind Sie sich denn sicher, dass er überhaupt zu Hause ist? Vielleicht ist er ja unterwegs«, sagte sie.
    Lucas wartete, dass sich am anderen Ende jemand meldete, schüttelte aber gleichzeitig den Kopf. »Soweit ich weiß, hat er die Stadt seit fünfundzwanzig Jahren nicht verlassen, seit seine Frau gestorben ist. Er geht jeden Morgen zu ihrem Grab, ohne Ausnahme.«
    »Dann muss er ja schon ziemlich alt sein?«
    Lucas brachte eine Weile, um ihrem Gedankengang folgen zu können. »Nein, nein, sie starb, als sie beide noch jung waren – er ist erst um die fünfzig.« Sie deutete mit dem Kopf zur Sprechanlage: »Sieht aber nicht so aus, als wäre er zu Hause.«
    »Nein.«
    »Wie ist sie denn gestorben?«
    »Ich weiß es nicht, ich hab nie gefragt.« Er sah sich gedankenverloren um und überlegte, welchen von Brunos Lieblingsplätzen er zunächst ansteuern sollte. Die Sonne auf seinem Gesicht gab ihm den entscheidenden Hinweis. »Das Terrassen-Café am Hotel Gellert. Dort wird er sich an einem schönen Tag wie heute aufhalten.«
    Er ging los.«Sie müssen ihn ja richtig gut kennen«, sagte sie.
    »Ich kenne seine Gewohnheiten.« Sicher war er sich allerdings nicht mehr und fragte sich langsam, ob es nicht vernünftiger gewesen wäre, sich im Voraus zu informieren. Er kam sich wie ein Amateur vor.
    Sie nahmen ein Taxi, und kaum dass sie am Gellert ausgestiegen waren, wusste er, dass er seinen Instinkten auch weiterhin vertrauen konnte. Schon von Weitem erkannte er Bruno links vom Eingang, offensichtlich damit beschäftigt, am Telefon irgendwelche dunklen Geschäfte zu tätigen.
    Er hatte etwas abgenommen, war aber immer noch groß und kräftig. Auch sein Haar wurde langsam lichter, war aber noch immer so pechschwarz, als hätte er es gefärbt. Er wirkte gesund, war sonnengebräunt und plapperte munter drauflos.
    Er redete weiter auf sein Telefon ein, als sie näher kamen, schaute dann aber auf und erstarrte. Er murmelte noch etwas ins Handy und beendete den Anruf. Lucas wusste genau, was in seinem Kopf vorging und war beeindruckt, wie gefasst er angesichts der Umstände blieb.
    Er sagte nichts, bis Lucas an seinen Tisch trat. »Ist es so weit?«, fragte er dann. Die Frage löste bei Lucas fast schon nostalgische Anwandlungen aus: Sie erinnerte ihn an die Macht, die er einmal über das Leben anderer Menschen ausgeübt hatte.
    »Nein. Wie geht’s dir, Bruno?« Erst jetzt war seine Nervosität zu bemerken: Seine Hand, die zum Eistee auf dem Tisch griff, zitterte merklich, und er brauchte ein paar Sekunden, um ein nervöses Lächeln auf sein Gesicht zu zwingen. Als sie Platz nahmen, kam gerade eine Kellnerin vorbei: »Einen

Weitere Kostenlose Bücher