Das Fluestern des Todes
sollte. »Mach’s gut, Bruno.« Er schüttelte seine Hand und stand auf. Ella, die gerade ihr Glas zum Mund führte, wurde von seinem abrupten Aufbruch überrascht. Sie erhob sich ebenfalls, während Bruno sitzen blieb, und verzichtete darauf, ihm die Hand zu reichen.
»Wenn dir der Ruhestand auf den Geist geht, ruf mich zuerst an, okay?«
»Es ist wohl besser für uns beide, wenn ich das nicht tue.« Er zögerte einen Moment, um Ella die Gelegenheit zu geben, noch etwas zu sagen. Aber sie ging bereits wortlos zu den Taxis zurück, und Lucas fragte sich, ob ihr überhaupt klar war, wie wertvoll Brunos Information war.
»Sie sind nicht gerade eine Plaudertasche, oder?«, fragte sie, als sie im Taxi saßen.
»Du hättest ja nicht mitkommen brauchen.« Aber sie hatte recht: Er war in Eile. Er hatte wieder dieses undefinierbare Gefühl, als ob ihm die Zeit durch die Finger gleiten würde.
»Nein, schon okay. Was passiert jetzt?«
»Ich werde etwas rumtelefonieren und ein paar Informationen über Larsen Grohl einholen. Wir machen Fortschritte. Brunos Information war eine große Hilfe.« Er konnte spüren, dass es innerlich in ihr rumorte – und wusste auch warum. Sie kam einfach nicht damit klar, dass sie Bruno gesund und munter auf der sonnigen Terrasse zurückgelassen hatten. Sie konnte nicht verstehen, warum er ungestraft davonkommen sollte, warum sie ihn nicht für die Morde zur Rechenschaft zogen, die er so professionell im Hatto-Haus hatte durchführen lassen. »Was ist los?«, fragte er.
Sie schaute aus dem Fenster zum Fluss hinaus, drehte sich dann aber zögernd wieder zu ihm um. »Ich weiß, dass er uns geholfen hat, und ich weiß, was ich in London zu diesem Thema gesagt habe. Aber Sie werden doch verstehen, was in mir vorgeht, wenn ich zuhören muss, wie er mit Ihnen Witze übers Geschäft reißt. Das Geschäft! Menschen zu töten! Warum sollte ich ihn nicht dafür verantwortlich machen können?«
»Wenn jemand bei einem Flugzeugabsturz umkommt, verklagt man die Fluggesellschaft und nicht das Reisebüro, das das Ticket ausgestellt hat.«
»Wenn das Reisebüro weiß, dass das Flugzeug abstürzen wird, tut man das sehr wohl.« Lucas hätte sich am liebsten geohrfeigt, weil er einen derart dummen Vergleich bemüht hatte. Aber vielleicht hatte sie ja grundsätzlich recht: Vielleicht musste Rache unerbittlich und gnadenlos sein, vielleicht war er einfach zu lange im Geschäft, um diesen Standpunkt noch vorurteilsfrei nachvollziehen zu können.
Er dachte an Isabelle – ein Mädchen, um das er sich bislang erschreckend wenig Gedanken gemacht hatte. Auch wenn seine Erinnerung nur auf einer flüchtigen Begegnung basierte – wie sie über die Straße ging und im Café mit ihren Freunden saß –, so wusste er doch, dass er zu der gleichen Rache fähig sein würde, wenn ihr etwas zustoßen sollte.
Ella wollte Brunos Tod, weil sie ihre Familie geliebt hatte und er ihre Ermordung arrangiert hatte. Lucas musste sie davon abbringen – nicht zuletzt auch aus egoistischen Gründen, weil er nicht tiefer als notwendig in seine Vergangenheit eintauchen wollte.
»Ich bitte dich, lass uns zunächst herausfinden, wer die Morde in Auftrag gegeben hat, und uns dann auf diese Leute konzentrieren. An ihnen kannst du den Tod deiner Familie rächen – und wenn du dann noch immer der Meinung bist, auch Leute wie Bruno Brodsky zur Rechenschaft ziehen zu müssen, sehen wir weiter.«
Sie nickte. »Okay, aber ich will heute Nacht eine Waffe in meinem Zimmer haben – wie in London.«
»Du brauchst keine Waffe«, sagte er, alarmiert von der Vorstellung, dass sie vielleicht einen Rachefeldzug auf eigene Faust plante.
»Woher wollen Sie das wissen? Nach allem, was uns bekannt ist, wurde der Mordauftrag nie annulliert. Brodsky weiß, dass ich in Budapest bin. Er könnte die Chance wahrnehmen, den Auftrag endgültig abzuschließen.«
»Das bezweifle ich zwar, aber wenn es dich glücklich macht, werd ich dir eine Waffe aufs Zimmer bringen.« Noch immer argwöhnisch hakte er sicherheitshalber nach: »Hast du vielleicht sonst noch Pläne für heute Abend? Eine Schiffspartie? Oper? Dinner?«
Sie lächelte »Ich werde mir das Abendessen aufs Zimmer kommen lassen und früh zu Bett gehen. Morgen früh hab ich vor meinem Abflug noch ein paar Stunden Zeit. Vielleicht werd ich dann ein bisschen Sightseeing machen.«
»Ich verstehe.« Sie war eine schlechte Lügnerin – was seinen Argwohn nur noch verstärkte. Es schmerzte ihn, dass
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