Das Fluestern des Todes
weil ich die Hintergründe verstehen möchte. Ich muss einfach alles wissen.«
»Okay, wenn du unbedingt willst. Aber ich warne dich: Brodsky werde ich nicht für dich umbringen. Er ist der Mittelsmann, nicht mehr. Er wird uns helfen, die Spur zu demjenigen zurückzuverfolgen, der den Mord in Auftrag gegeben hat. Das musst du respektieren.«
»Versprochen.«
Sie fuhren inzwischen wieder auf der Ausfallstraße Richtung Innenstadt. Sie machte es sich in ihrem Sitz bequem und verspürte eine unerklärliche Ruhe und Ausgeglichenheit. Endlich machte sie Fortschritte. Lucas selbst schien weniger enthusiastisch – aber vermutlich nur deshalb, weil er sie nun mal aus brenzligen Situationen heraushalten wollte. Er würde schon mitspielen. Er musste ihr einfach helfen. Sie war fest entschlossen, alle Beteiligten für ihre Verbrechen büßen zu lassen. Und sie sah keinen Anlass, bei Bruno Brodsky eine Ausnahme zu machen. Bei niemandem.
VIERZEHN
Lucas saß in der Limousine und wartete. Ellas Maschine aus London war gerade gelandet, es sollte also nicht mehr allzu lange dauern. Er hatte mit dem Gedanken gespielt, Bruno vorab einen Besuch abzustatten, hatte den Plan aber wieder verworfen. Die Art und Weise, wie Ella auf Novakovic reagiert hatte, beunruhigte ihn, andererseits sah er keinen Grund, sie nun außen vor zu lassen.
Er versuchte, sich in ihre Situation zu versetzen. Sie hatte ein behütetes Leben geführt, das über Nacht aus den Fugen geraten war. Vielleicht war der Wunsch nach Rache ja bis zu einem gewissem Maß nachvollziehbar, zumal der Impuls in ihrem Fall aus Liebe entstanden war, einer grenzenlosen Liebe zu ihren Eltern und ihrem Bruder, die er in diesem Ausmaß nicht einmal ansatzweise nachvollziehen konnte.
Ihm fielen nur zwei Personen ein, die in ihm ähnliche Gefühle auslösen könnten – wobei ihm die eine nicht in die Augen sehen konnte und die andere gerade mal wusste, dass er überhaupt existierte. Er hatte also nicht unbedingt das Recht, über Ellas Rachegelüste die Nase zu rümpfen.
Die Tür öffnete sich, und Ella ließ sich neben ihn auf den Rücksitz fallen. Sie begrüßte ihn sichtlich gut gelaunt und lachte. Sie trug einen Hosenanzug mit fast schon orientalischem Schnitt – immer noch leger, aber doch modischer als alles, was er bisher an ihr gesehen hatte.
Auf dem Weg in die Innenstadt unterhielten sie sich über ihren Flug, über Budapest – und dass sie darauf brannte, Bruno kennenzulernen. »Ich stell nur meine Tasche ab und springe kurz unter die Dusche. Eine halbe Stunde?«, fragte sie, als sie das Hotel erreicht hatten.
»Okay. Ich warte hier unten.«
Die Lobby war weiträumig und modern eingerichtet. Er suchte sich einen Platz direkt neben zwei riesigen Bullaugen in der Wand, die den Blick auf ein Aquarium mit Korallen und exotischen Fischen freigaben. Eine Weile beobachtete er die Geschäftsleute und betuchten Touristen, die an den anderen Tischen saßen, wandte sich dann aber dem Studium der Fische zu.
Er hatte bereits einige Minuten lang ihre Bewegungen verfolgt, als ihm klar wurde, dass es nicht ein einziges großes Aquarium war, sondern zwei kleinere, die an den Seiten verspiegelt waren, um diesen Eindruck zu erwecken.
Gerade starrte ein großer silberner Fisch mit gelben Flossen fasziniert sein Ebenbild an. Er war der einzige Fisch seiner Art in diesem Tank, während sich ein Geschlechtsgenosse im Tank daneben befand. Eine Isolationshaft, die Lucas unnötig grausam erschien.
Andererseits wusste keiner dieser Fische von der Existenz des anderen – ganz zu schweigen von den weit entfernten tropischen Ozeanen. Die plötzliche Einsicht verwirrte ihn, doch noch irritierender empfand er die Tatsache, dass außer ihm niemand in der Lobby dieses Phänomen bemerkt hatte.
Er hatte genug Bücher gelesen, um zu wissen, warum ihn diese Erkenntnis so beunruhigte. Es war die Metapher seines eigenen Lebens, des Lebens überhaupt – was es jedoch nicht erträglicher, nicht weniger wahr machte. Er fühlte jedenfalls, wie ihn die große Unruhe und eine unbekannte Dringlichkeit überkam – als würde ihm plötzlich klar, dass er keine Zeit zu verlieren hatte, dass es mit jeder Minute zu spät sein konnte.
Und doch war er hier, zurück in der Welt, die er angeblich hinter sich gelassen hatte, saß in der Lobby eines Hotels in Budapest und wartete darauf, Bruno Brodsky zu treffen. Es war, als habe er die letzten vier Jahre seines Lebens achtlos aus dem Fenster geworfen – und so war
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