Das Fluestern des Todes
sie ihn anlog, seit sie ihn um Hilfe gebeten hatte.
Es war ihr Hass gewesen, der Novakovic das Leben gekostet hatte, aber er fragte sich, ob ihr Wunsch, ihm anschließend noch in den Kopf zu schießen, so etwas wie ein Testlauf gewesen war – die gezielte Generalprobe für weitere Racheakte.
»Lucas?« Er drehte sich zu ihr um. Sie sah wieder genauso aus wie das unschuldige Mädchen, das er im Sommer kennengelernt hatte. »Wenn man Sie dafür bezahlt hätte, mich zu erschießen – hätten Sie’s getan?«
»Bis vor vier Jahren: ohne mit der Wimper zu zucken. Danach wurde ich etwas wählerischer – und dann stieg ich ganz aus. Es geschah nur aus alter Verbundenheit, dass ich den Auftrag für deinen Vater übernahm. Genau wie jetzt auch.«
Er hatte eigentlich erwartet, dass sie dies wohlwollend zur Kenntnis nehmen oder sich vielleicht sogar dafür bedanken würde. »Was geschah vor vier Jahren?«, fragte sie stattdessen.
Er lächelte, hielt den Vorfall aber nicht für wichtig genug, um darüber zu sprechen. Es geschah in einem überfüllten Kaufhaus in Zürich, kurz vor Weihnachten, als er plötzlich eine Kinderhand in der seinen spürte. Ein kleines Mädchen hatte nach der Hand gegriffen, die sie für die Hand ihres Vaters hielt. Der Vater hatte es zufällig mitbekommen und auf Deutsch einen Scherz gemacht, den Lucas aber nicht verstanden hatte.
Das war schon alles gewesen – ein belangloser kleiner Vorfall, der sich tagtäglich ereignete, ohne dass die Leute ihm weiter Beachtung schenkten. Aber seine Wirkung auf Lucas war gewaltig gewesen – und die Gründe dafür waren derart offensichtlich, dass sie ihm fast schon wieder peinlich waren. Was zählte, war auch nicht der etwas sentimentale Auslöser, sondern die Tatsache, wie empfänglich Lucas dafür gewesen war.
»Gar nichts. Ich kam einfach zu dem Entschluss, mich zu verändern.« Er verkniff sich weitere Bemerkungen, auch wenn er eigentlich noch hätte sagen wollen, dass solche Entschlüsse nie leicht fielen – eine Erkenntnis, die er, Bruno Brodsky und auch ihr Vater allesamt unterschrieben hätten. Wenn man einmal in diesem Geschäft war, gab es durchaus Möglichkeiten, wieder auszusteigen. Draußen zu bleiben aber war eine weit größere Herausforderung.
Er hatte allerdings das dunkle Gefühl, dass sie bereits jenseits von Gut und Böse war. Als sie wieder im Hotel waren, gab er ihr deshalb keine Ratschläge, sondern eine Pistole. Und rief kurz darauf Bruno wegen der versprochenen Kontonummer an – und um ihn zu warnen, dass er mit einem Besuch Ellas rechnen musste.
Er wartete, bis sie das Hotel verlassen hatte, rief Bruno noch mal an und bestellte sich etwas zu essen. Dann setzte er sich ans Telefon, um Informationen über Larsen Grohl einzuholen. Und wieder hatte er das Gefühl, diese Geschichte so schnell wie möglich hinter sich bringen zu müssen. Ansonsten lief er Gefahr, dass Ella die Aufmerksamkeit auch auf ihn lenken würde.
Sie nahm die Sache in die eigene Hand – und wenn sein altes Umfeld erst einmal auf sie aufmerksam würde, wollte er längst über alle Berge sein. Er hatte hart daran gearbeitet, dieser Welt den Rücken zu kehren – und würde das alles nicht aufs Spiel setzen, indem er mit Ella Hatto zurück ins Rampenlicht trat.
FÜNFZEHN
Als sie im Taxi Platz nahm, spürte sie einen Anflug von Übelkeit und schlechtem Gewissen, als sei jedermann über ihre Absichten im Bilde – und auch darüber, dass sich in ihrer Handtasche eine Pistole befand. Nachdem der Portier dem Taxifahrer die Adresse gegeben hatte, drehte er sich um, lächelte in sich hinein und wiederholte dabei die Worte »Alkotmany Utca« – als wisse er ganz genau, warum sie gerade zu dieser Adresse fuhr.
Sie hatte panische Angst, war aber auch wild entschlossen, die Sache durchzuziehen. Lucas erschien ihr inzwischen wie ein Bürokrat, der in den Vorschriften seiner Welt so verstrickt war, dass er seinen Verhaltenskodex über die Wahrheit stellte. Für ihn war es selbstverständlich, Leute wie Brodsky nicht zu belangen, weil sie ja nur die Vermittler waren. Aber ohne die Brodskys dieser Welt wäre es nicht mehr so einfach, sich einen Mörder zu kaufen. Sie war sich nicht sicher, ob ihre Familie ohne Brodsky noch leben würde, wusste aber auch, dass sie erst durch Brodsky den Tod gefunden hatte.
Man hatte ihm eine Liste mit den Opfern gegeben – ein Mann, seine Frau, ihre Tochter und der 17-jährige Sohn –, und statt sich angewidert abzuwenden, hatte er
Weitere Kostenlose Bücher