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Das Flüstern des Windes (German Edition)

Das Flüstern des Windes (German Edition)

Titel: Das Flüstern des Windes (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Wekwerth
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schüchtern.
    Er öffnete den Arm zu einer einladenden Geste.
    »Komm nur! Ich werde auf dich aufpassen, während du schläfst.«
    Zufrieden kuschelte sie sich an ihn und war bald darauf eingeschlafen.
    Karem selbst schlief nicht. Leise weinte er. Weinte um seine getötete Familie, sein eigenes Schicksal und um das Leid, das auf dieses kleine, unschuldige Wesen in seinen Armen warten mochte.
     
     

12.
     
    Die Tage vergingen eintönig an Bord des Sklavenschiffes. Es gab keinen Morgen, keinen Mittag, keinen Abend und keine Nacht. Es gab nur diffuse und totale Finsternis.
    Die Routine wurde nur unterbrochen, wenn es Essen gab. Meist war es ein stinkender Brei, den ein N’Guur brachte und in die Blechnäpfe der Gefangenen füllte. Aus einer großen Holzkelle wurde den Leidenden lauwarmes, abgestandenes Wasser gereicht, wenn sie ihren Napf geleert hatten.
    Da die Gefangenen niemals von ihren Ketten befreit wurden, und sie ihre Notdurft in einer an der Bordwand verlaufenden Rinne vor den Augen aller verrichten mussten, stank es bald unerträglich, und das Atmen wurde noch schwieriger.
    Karem hatte jedes Zeitgefühl verloren. Es erschien ihm, als wäre er schon immer an Bord des Sklavenjägers gewesen, und die Erinnerung an seine getötete Familie verblasste zu einem Traum, der aus einem anderen Leben zu ihm im Schlaf flog, um ihn zusätzlich zu quälen.
    Lediglich die Gespräche mit Lelina machten die Mühsal erträglicher. Ihr goldenes Wesen leuchtete in ihren Augen, wenn sie sich mit ihm unterhielt, und ihr unerschütterlicher Optimismus hielt ihn davon ab, in Verzweiflung zu versinken.
    Wann immer Karem in dumpfes Brüten zu versinken drohte, erzählte sie eine ihrer seltsamen Geschichten, die so wirr waren, dass er, ohne es zu wollen, lachen musste. Stets war sie gutgelaunt, ihr helles, glockenähnliches Lachen klang durch das Schiff, wenn sie ihn wieder einmal geneckt hatte.
    Karem versuchte auf der anderen Seite, wann immer er die Kraft dazu aufbrachte, Lelina Geborgenheit zu geben. Sie schliefen nun stets eng aneinandergekuschelt, und das Gefühl der gegenseitigen Nähe nahm ihren Alpträumen die Kraft, Macht über ihren jungen Geist zu gewinnen.
    Nur einmal noch hielt das Luftschiff an. Neue Sklaven wurden unter Deck getrieben.
    In den ersten Tagen nach ihrer Gefangennahme klagten und weinten die Neuen ständig, aber bald überfiel auch sie die Resignation, und sie ergaben sich ihrem Schicksal.
    Wieder einmal waren nur Frauen und Kinder die Beute der Sklavenjäger gewesen. Karem vermutete, dass die Männer und Väter bei der Verteidigung ihrer Familien getötet worden waren.
    Der Gestank unter Deck wurde immer unerträglicher. Lelina übergab sich nun häufiger. Karem half ihr, so gut es ging, indem er ihren Kopf stützte, während sie sich erbrach.
    Eines Morgens, etwas Helligkeit fiel durch die Ritzen der Holzplanken, gab es einen lauten Knall, und eine starke Erschütterung durchlief das Schiff. Die Gefangenen begannen, laut zu kreischen, aus dem Nebenraum erklang das zornige Gebrüll des Monsters. An Deck wurden Befehle geschrien und Karem hatte das Gefühl, dass das Schiff an Fahrt verlor und langsam niedersank.
    Die große Luke über seinem Kopf wurde aufgerissen. Ein Trupp N’Guur sprang zu ihnen herab und löste nacheinander bei den Gefangenen die Fesseln. Mit Peitschenhieben wurden sie gezwungen aufzustehen.
    Durch die tagelange Hockerei war bei den meisten die Blutzirkulation in den Beinen unterbrochen. Die Menschen mussten sich gegenseitig stützen, um aufrecht, mit wackelnden Knien stehen zu bleiben.
    Immer wieder zischte die Peitsche durch die Luft, schlug klatschend auf gebeugte Rücken nieder, bis auch der Letzte auf den Füßen stand.
    Zwei Kleinkinder und eine ältere Frau blieben trotzdem liegen. Niemand von den anderen hatte bemerkt, dass sie in der letzten Nacht gestorben waren. Die N’Guur fluchten in ihrer seltsamen, kehligen Sprache und beschimpften sich gegenseitig.
    Durch die Luke wurde ein Tragegestell an einem Seil herabgelassen, das die Gefangenen nacheinander an Bord zerrte.
    Als Karem an der Reihe war und zum ersten Mal nach über einer Woche wieder Tageslicht sah, musste er geblendet die Augen schließen. Brennende Tränen liefen unter seinen Lidern hervor und strömten über seine Wangen. Die Luft war heiß und trocken. Trotzdem genoss Karem das Gefühl, frei atmen zu können, aus vollem Herzen.
    Jemand sprach ihn an, aber er achtete nicht auf die Worte. Sein Glück war

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