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Das Flüstern des Windes (German Edition)

Das Flüstern des Windes (German Edition)

Titel: Das Flüstern des Windes (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Wekwerth
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Müdigkeit ebenso wie die anderen spürte, zwang er sich, wach zu bleiben. Er kroch leise zum Türgitter und starrte zwischen den Eisenstäben hindurch zum fremden Firmament hoch. Unzählige Sterne funkelten wie Diamanten auf dem samtschwarzen Tuch eines Juwelenhändlers am Himmel. Karems Hände umklammerten die Gitterstäbe. Er dachte an Lelina, an seine tote Familie und an das vor ihm liegende Schicksal. Still weinte er, bis keine Tränen mehr kamen.
    Später schlich er zu seinem Lager zurück und die sanfte Güte des Schlafes entführte ihn für kurze Zeit aus dieser Welt.
     
     

13.
     
    Abdullah saß, wie an jedem Tag, im Schatten der Großen Moschee und bot den Passanten seine kandierten Heuschrecken an.
    Sobald jemand in seine Nähe kam, öffnete sich sein zahnloser Mund, und er begann, seine Ware anzupreisen. Seine knotigen Finger hoben einen der dünnen Holzspieße aus der mit Wachspapier ausgelegten Schachtel und wedelten damit herum, während sein altes, verrunzeltes Gesicht einen genießerischen Ausdruck annahm.
    »Heuschrecken! Kandierte Heuschrecken!«, rief er laut über den Platz, aber die meisten der Vorbeigehenden waren auf dem Weg zum monatlichen Sklavenmarkt und beachteten ihn nicht.
    »Die besten Heuschrecken in ganz Saled, was sage ich, die besten auf ganz Omrak!«
    Aber so laut er auch schrie, so verführerisch er auch die mit Zucker übergossenen Tiere feilbot, niemand bezahlte das geforderte Kupferstück, und so langsam begann seine Ware, in der Hitze klebrig zu werden. Bald würde in der Holzkiste eine undefinierbare Masse liegen, was bedeutete, dass er auch heute ohne Geld zurück zu seiner Familie musste, die außerhalb von Saled in einer verrotteten Strohhütte im Armenviertel lebte.
    Abdullah war sechsundsiebzig Jahre alt. Er hatte sechs Söhne und einen Haufen Töchter, die er nie gezählt hatte, da sie unwichtig waren, gezeugt und er blickte auf ein langes, stets hartes Leben zurück.
    Schon mehrfach hatte er überlegt, ob er eine seiner nutzlosen Töchter einem der Sklavenhändler anbieten sollte, etwas das laut Dekrets des Kalifen verboten, aber trotzdem möglich war, aber sein weiches Herz hatte ihn dann doch immer im letzten Augenblick vor so einem Schritt zurückschrecken lassen.
    Auch heute würde es wahrscheinlich wieder nichts zu essen geben, es sei denn Genin, sein ältester Sohn, hatte Arbeit für einen Tag am Hafen gefunden, wo die großen Fischerboote mit dem Fang anlegten. Aber das war unwahrscheinlich, Genin war nicht der Kräftigste und Arbeitssuchende gab es genug. Da konnte er schon mehr auf Kaleb, seinen Jüngsten, hoffen, der ein geschickter Dieb war und in letzter Zeit fast allein dafür gesorgt hatte, dass die Familie nicht verhungert war.
    Kaleb war erst zwölf Jahre alt, und Abdullah flehte täglich den Propheten an, gepriesen sei sein Name, dass ihn die Stadtwache nicht bei einem seiner Streifzüge erwischen und ihm die Hände abhacken würde.
    Die Sonne hatte nun den letzten Rest Schatten vertrieben und brannte heiß vom Himmel herab. Abdullah klemmte seine kleine Holzkiste unter den Arm und schlurfte zum Sklavenmarkt. Vielleicht hatte er dort, wo das Geld so locker saß, mehr Glück.
     
    Zu Abdullahs Erstaunen hatte sich schon eine große Menschenmenge um die verschiedenen Holzpodeste eingefunden, auf denen die angebotenen Sklaven in der prallen Sonne schmorten.
    Ganz links stand der Verkaufsstand von Demir Sullah, der sich auf den Verkauf von Männern spezialisiert hatte und einer der reichsten Händler der Stadt war. Von Sullah selbst war nichts zu sehen. Er blieb wie stets im Hintergrund in seinem roten Seidenzelt verborgen und überließ die Verkaufsverhandlung seinem ältesten Sohn Lamek.
    Sullahs Geschäfte schienen nicht besonders gut zu laufen, denn auf dem großen Holzpodest waren nur vier Männer angebunden, die allesamt in erbärmlichem Zustand waren. Einer von ihnen schien ein Drachenritter aus Durin zu sein. Abdullah erkannte die hochmütige Haltung und die Augen, aus denen trotz der erlittenen Schmach Stolz sprach.
    Der alte Mann lächelte.
    Dieser Narr würde sehr bald keinen Grund mehr haben, überheblich zu sein. Die drei anderen Männer waren eindeutig aus Thuur. Abdullah war nie dort gewesen, aber ihre Haarfarbe und ihre relativ blasse Haut ließen keine andere Vermutung zu.
    Gelangweilt schlenderte er weiter.
    An der Stelle, an der die Kaufmannsgasse in den Sklavenmarkt mündete, pries der alte Harim, der sich keinen Auktionator leisten

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