Das Flüstern des Windes (German Edition)
Vielleicht hatten die Männer Freunde in der Nähe. Hast du ein Pferd?«
Die Frau blickte gebannt auf die Leichen herab. Karem packte ihre Schultern. »Hast du ein Pferd?«, wiederholte er die Frage.
»Ja, ja! Es steht dort hinter den Bäumen.«
»Dann hilf mir jetzt!«
»Helfen?«
»Hast du mir nicht zugehört? Wir müssen die Leichen verstecken!«
»Verstecken ... ja.«
Karem merkte, dass sie noch immer unter Schock stand. Er würde es allein tun müssen.
Mit seinem Schwert hackte er die tief hängenden Äste der Bäume ab und bedeckte die Toten. Die Frau stand die ganze Zeit daneben und bewegte sich nicht.
»Komm jetzt! Wir müssen gehen!«
Die Pferde waren nur zwanzig Meter entfernt hinter einem großen Brombeerbusch angebunden.
Karem nahm den Tieren der Räuber die Sättel und das Zaumzeug ab und ließ sie laufen. Er selbst bestieg das Pferd des getöteten Dieners, einen fuchsroten Wallach. Die Frau schien langsam aus ihrer Betäubung zu erwachen, denn sie schwang sich ohne Aufforderung geschickt in den Sattel einer grauen Stute.
Sie führten die Tiere zurück auf die Handelsstraße und wandten sich auf Wunsch der Frau in Richtung Westen. Eine Stunde lang ritten sie in zügigem Galopp, bevor Karem es wagte, die Pferde in einen leichten Trab fallen zu lassen.
Als die Abenddämmerung hereinbrach, machten sie Rast in einer kleinen, von der Handelsstraße nicht einsehbaren Bodensenke, die durch einige mächtige Tannen windgeschützt und trocken lag.
Karem entzündete ein rauchloses Kochfeuer und bereitete aus seinen Vorräten ein einfaches Abendmahl. Die Frau saß ihm schweigend gegenüber. Sie löffelte ihren Anteil am Essen geistesabwesend in sich hinein.
Ihr Kopf zuckte hoch, als in der Nähe ein Ast geräuschvoll zu Boden fiel.
»Du brauchst dir keine Sorgen zu machen«, versuchte Karem sie zu beruhigen. »Hier dürften wir sicher sein.«
»Ich ... ich habe mich noch gar nicht bedankt für deine Hilfe«, meinte sie schüchtern.
»Das ist auch nicht nötig.«
»Wer bist du?«
»Mein Name ist Karem.« Sein Blick musterte sie. »Du trägst teure Kleidung. Unpraktisch, wenn man mit einem Pferd unterwegs ist.«
Hastig strich sie die Fetzen ihres Gewandes glatt. Ihre bloße Haut glänzte weiß im blassen Licht des Vollmondes. Karem sah, dass sie fröstelte. Er ging um das Feuer und legte seine Decke über ihre Schultern.
»Danke.«
»Du hast keine richtige Kleidung, keine Ausrüstung wie Decken, Töpfe und dergleichen. Ich habe in den Satteltaschen nachgesehen, du und dein Diener seid vollkommen ohne Vorräte unterwegs.«
»Normalerweise kehren wir abends in Gasthöfen ein, die an der Handelsstraße liegen. Die Kleidung ...«, meinte sie nachdenklich. »Darüber habe ich noch nie nachgedacht. Ich bin Sara, die Nichte König Canais von Denan. Diese Sachen sind meiner Position angemessen.«
»Du bist die Nichte eines Königs?«, fragte Karem erstaunt nach.
»Ja!«
»Und du reist nur mit einem Diener allein durch diese Wälder?«
»Mein Oheim dachte, die Straßen wären sicher und ein großer Tross würde nur Aufmerksamkeit erregen. Ich war auf der Rückreise von einem Besuch bei meiner Schwester, der Fürstin von Melwar, als wir überfallen wurden.«
»Ich kenne Melwar. Ich habe diese Stadt einmal als Kind besucht.«
»Wer bist du?«
»Das habe ich dir bereits gesagt.«
»Nein, ich meine, was machst du? Wo kommst du her? Wohin bist du unterwegs?«
Karem lachte freudlos.
»Das sind viele Fragen auf einmal.« Als er sah, dass ihr Interesse ehrlich gemeint war, zuckte er mit den Schultern. »Es ist eine lange Geschichte.«
Sie lächelte. »Es ist eine lange Nacht.«
Zuerst stockend, dann aber frei, begann Karem sein Leben zu erzählen. Ein leichter Wind kam auf und das Rauschen der Bäume unterstützte die Worte.
Als er geendet hatte, stand der Mond hoch am Himmel. In der Ferne heulte ein einsamer Wolf.
»Das ist eine sehr traurige Geschichte«, sagte Sara mitfühlend. »Aber vielleicht wendet sich jetzt alles zum Besseren für dich. Begleite mich zu meinem Onkel dem König, er wird dich für meine Rettung reich belohnen.«
»An Geld liegt mir nichts. Was ich mir wünsche, ist eine Zukunft. Vielleicht kann ich mit der gütigen Hilfe deines Onkels ein Handwerk erlernen. Ich habe zwar keine besonderen Begabungen, aber ich kann hart arbeiten.«
Saras Lachen klang hell durch die Nacht. »Mein Retter wird nicht hart arbeiten müssen. Glaub mir, wir werden schon etwas für dich finden,
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