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Das Foucaultsche Pendel

Das Foucaultsche Pendel

Titel: Das Foucaultsche Pendel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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betrachtet.«
    »Animierdame.«
    »Das hättest du jetzt nicht sagen dürfen. Riccardo, bring mich irgendwohin, wo’s noch was zu trinken gibt.«
    »Nein, warte«, sagte Belbo. »Sag mir jetzt, ob du ihn ernst nimmst, ich will endlich kapieren, ob du verrückt bist oder nicht. Und hör auf zu trinken. Sag mir verdammtnochmal, ob du ihn ernst nimmst?«
    »Aber Liebster, das ist doch ein Spiel zwischen mir und ihm. Und dann, das Schöne an der Geschichte ist: wenn die Sophia kapiert, wer sie ist, und sich aus der Tyrannei der Engel befreit, dann kann sie sich frei von Sünde bewegen...«
    »Hast du aufgehört zu sündigen?«
    »Ach bitte, überleg’s dir noch mal«, sagte Riccardo und küßte sie schamhaft auf die Stirn.
    »Im Gegenteil«, antwortete sie Belbo, ohne den Maler zu beachten. »Alle diese Sachen da sind jetzt keine Sünde mehr, man kann alles machen, was man will, um sich vom Fleisch 361
    zu befreien, man ist jenseits von Gut und Böse.«
    Mit einem Stoß schob sie Riccardo weg und rief laut in den Saal: »Ich bin die Sophia, und um mich von den Engeln zu befreien, muß ich alle Sünden prepetieren... prerpuetieren...
    per-pe-trieren, auch die allerschönsten!«
    Sie ging leicht schwankend in eine Ecke, wo ein ganz in Schwarz gekleidetes Mädchen mit dicken Lidschatten und sehr blassem Teint saß, zog es in die Mitte des Saales und begann mit ihm zu tanzen. Die beiden tanzten fast Bauch an Bauch, mit schlaff herunterhängenden Armen. »Ich kann auch dich lieben«, sagte Lorenza. Und küßte sie auf den Mund.
    Die anderen bildeten einen Halbkreis um sie, ein bißchen erregt, und jemand rief etwas. Belbo hatte sich hingesetzt und betrachtete die Szene mit einem undurchdringlichen Ausdruck, wie ein Impresario, der einer Theaterprobe zu-schaut. Er schwitzte und hatte ein nervöses Zucken am linken Auge, das ich noch nie an ihm bemerkt hatte. Dann plötzlich, als Lorenza schon mindestens fünf Minuten lang tanzte und ihre Bewegungen immer lasziver wurden, straffte er sich und sagte scharf. »Komm jetzt her!«
    Lorenza blieb stehen, spreizte die Beine auseinander, streckte die Arme nach vorn und schrie: »Ich bin die Heilige und die Hure!«
    »Du bist ein Haufen Scheiße«, sagte Belbo, stand auf, ging geradewegs auf sie zu, packte sie hart am Handgelenk und zog sie zur Tür.
    »Laß mich!« schrie sie. »Was erlaubst du dir...« Dann brach sie in Schluchzen aus und warf ihm die Arme um den Hals.
    »Liebster, ich bin doch deine Sophia! Du wirst dich doch nicht wegen sowas aufregen...«
    Belbo legte ihr sanft den Arm um die Schultern, küßte sie auf die Schläfe und strich ihr die Haare aus der Stirn, dann sagte er in den Saal: »Entschuldigt, sie ist es nicht gewohnt, so viel zu trinken.«
    Ich hörte ein paar Leute kichern. Ich glaube, auch Belbo hatte es gehört. Er entdeckte mich auf der Türschwelle und machte etwas, von dem ich bis heute nicht weiß, ob es für mich, für die anderen oder für ihn selbst bestimmt war. Er machte es gedämpft, mit halblauter Stimme, als die anderen sich schon abgewandt hatten.
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    Den Arm immer noch um Lorenzas Schultern, drehte er sich halb zum Saal herum und machte leise, wie jemand, der eine Selbstverständlichkeit sagt: »Kikerikiii.«
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    Wann derohalben ein kabbalistischer Großkop-
    feter dir etwas sagen will, so denke nicht, er sage dir etwas Frivoles, etwas Vulgäres, etwas Gemeines: sondern ein Geheimnis, ein Orakel...
    Thomaso Garzoni, Il Theatro de vari e diverse cervelli mondani, Venedig, Zanfretti, 1583, Discorso XXXVI
    Das Bildmaterial, das ich in Mailand und Paris gefunden hatte, genügte nicht. Signor Garamond genehmigte mir eine Reise nach München, zum Deutschen Museum.
    Ich verbrachte einige Abende in den Bars von Schwabing
    — soll heißen in jenen immensen Krypten, wo ältere Herren mit Schnauzbart und kurzen Lederhosen Blechmusik oder Hackbrett spielen, während die Paare, dichtgedrängt eins neben dem andern sitzend, sich durch Rauchschwaden voller Schweinsbratendunst über riesigen Maßkrügen zulächeln
    — und die Nachmittage im Lesesaal mit der Durchsicht des Fotoarchivs. Ab und zu ging ich ins Museum hinüber, wo alles nachgebaut worden ist, was je ein menschliches Hirn hat erfinden können: Man drückt auf einen Knopf, und Di-oramen von Ölfeldern beleben sich mit stampfenden Pumpen, man spaziert durch ein echtes Unterseeboot, man läßt die Planeten kreisen, man spielt Chemiefabrik und Atom-kraftwerk... Ein weniger gotisches und

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