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Das Foucaultsche Pendel

Das Foucaultsche Pendel

Titel: Das Foucaultsche Pendel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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entsetzliches graues Geschöpf mit starrem Ausdruck, der Leib gepanzert mit einem bronzefarbenen Belag, ge-stützt auf einen spiralförmig gedrehten Knotenstock aus weißem Holz. Ein trüber Geruch nach Sandelholz und nassem Schiefer ging von der Erscheinung aus. Mich packte ein tödliches Grauen, es war, als wäre mein ganzes Fühlen zu Todeserschrecken geron-nen in jenem Wesen, das da vor mir stand. Und doch konnte ich den Blick nicht von dem fahlen Nebelballen abwenden, den es anstelle des Kopfes auf den Schultern trug, und mit Mühe erkannte ich das Raubvogelgesicht eines ägyptischen Ibis, und dahinter eine Vielzahl anderer Gesichter, Alpträume meiner Phantasie und meiner Erinnerung. Die Umrisse des Phantoms schleierten sche-menhaft in der Dunkelheit, zogen sich kaum merklich zusammen und dehnten sich wieder aus, als durchströmte ein langsamer mineralischer Atem die ganze Gestalt... Und — o Grausen — statt der Füße sah ich unförmige Knochenstümpfe im Schnee, von denen das Fleisch, grau und blutleer, sich zu Wülsten hochrollte.
    Oh, meine gefräßigen Erinnerungen...
    — Der Golem! sagte Dee. Sodann hob er beide Arme zum Himmel, und sein schwarzer Rock mit den weiten Ärmeln fiel an seiner hohen Gestalt herab, als wollte er ein Cingulum bilden —
    eine Nabelschnur zwischen den hocherhobenen Händen und der Oberfläche (oder den Tiefen) der Erde. — Jezebel, Malchuth, Smo-ke Gets in Your Eyes! sprach der Doktor. Und mit einem Schlage zerfiel der Golem wie eine Burg aus Sand, durch die ein Windstoß fährt, wir wurden fast geblendet von den Partikeln seines tönernen Leibes, die in der Luft wie Atome zerstoben, und am Ende lag vor unseren Füßen ein Häufchen verbrannter Asche. Dee beugte sich nieder, wühlte mit seinen knochigen Fingern in jenem Häufchen, zog einen Zettel heraus und barg ihn an seinem Busen.
    Im selben Moment trat aus dem Dunkel ein alter Rabbi mit einer fettigen Kappe, die meiner Mütze sehr ähnlich sah. — Doctor Dee, l suppose, sagte er. — Here Comes Everybody, erwiderte Dee 490
    bescheiden. Seid mir gegrüßt, Rabbi Allevi, welche Freude... Und der andere: — Habt Ihr zufällig hier ein Wesen umgehen sehen?
    — Ein Wesen? fragte Dee mit gespieltem Erstaunen. Von welcher Beschaffenheit?
    — Zum Teufel, sagte Rabbi Allevi. Es war mein Golem.
    — Euer Golem? Davon weiß ich nichts.
    — Hütet Euch, Doktor Dee, zischte der Rabbi böse. Ihr spielt ein Spiel, das größer ist als Ihr.
    — Ich weiß nicht, wovon ihr sprecht, Rabbi Allevi, sagte Dee.
    Wir sind hier, um ein paar Unzen Gold für Euren Kaiser zu machen. Wir sind keine Drei-Groschen-Nekromanten.
    — Gebt mir wenigstens den Zettel wieder, flehte Rabbi Allevi.
    — Welchen Zettel? fragte Dee mit teuflischer Einfalt.
    — So seid denn verflucht, Doktor Dee! sprach Rabbi Allevi.
    Wahrlich, ich sage Euch, Ihr werdet die Morgendämmerung des neuen Jahrhunderts nicht mehr erleben. Sprach’s und entschwand in die Nacht, obskure Mitlaute ohne jeden Vokal vor sich hinmur-melnd. O Lingua Diabolica et Sancta!
    Dee stand an die modrige Mauer des Torwegs gelehnt, erdfahl im Gesicht, das Haupthaar gesträubt gleich dem der Schlange. —
    Ich kenne diesen Rabbi Allevi, sagte er. ich werde am fünften August anno 1608 sterben, nach dem Gregorianischen Kalender.
    Und darum helft mir nun, Kelley, meinen Plan ins Werk zu setzen.
    Ihr werdet es sein, der ihn vollenden muß. Gilding pale streams with heavenly alchymy, erinnert Euch daran. — O ja, ich würde mich daran erinnern, und William mit mir (und gegen mich).
    Er sagte nichts mehr. Der gelbe Nebel, der seinen Rücken an den Fensterscheiben rieb, der gelbe Rauch, der seine Schnauze an den Fensterscheiben rieb, leckte mit seiner Zunge an den Ecken des Abends. Wir waren jetzt in einer anderen Gasse, weißliche Dämp-fe stiegen aus den vergitterten Kellerfenstern, durch die man in Spelunken mit schiefen Wänden sah, gestreift mit einer Skala trü-
    ber Grautöne... Ich erblickte, während er tastend eine Treppe hinunterkam (die Stufen unnatürlich rechtwinklig), die Gestalt eines Alten in verschlissenem Gehrock mit hohem Zylinder. Dee sah ihn ebenfalls. — Caligari! rief er. Auch er hier, und das im Haus der Madame Sosostris, The Famous Clairvoyante! Rasch, wir müssen uns sputen!
    Wir beschleunigten unsere Schritte und gelangten zur Tür eines Häuschens in einer trübe beleuchteten Gasse.
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    Wir klopften, und die Tür öffnete sich wie durch Zauberhand.
    Wir traten in einen weiten hohen Saal,

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