Das Foucaultsche Pendel
Permutationen, die Protokolle entstanden gleichsam von selbst. Ein abstraktes Verschwörungsprojekt pflanzte sich von Komplott zu Komplott weiter fort.
Und auf der Suche nach dem fehlenden Kettenglied, das diese ganze schöne Geschichte mit Nilus verband, waren wir dann auf Ratschkowski gestoßen, den Chef der schrecklichen Ochrana, der Geheimpolizei des Zaren.
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Wenn nur die Zwecke erreicht werden, so ist es
gleichgültig, unter welcher Hülle es geschieht, und eine Hülle ist immer nöthig. Denn in der
Verborgenheit beruht ein großer Theil unserer
Stärke. Deswegen soll man sich immer mit dem
Namen einer andern Gesellschaft decken.
Die neuesten Arbeiten des Spartacus [Weishaupt] und Philo
[Frhr. v. Knigge] in dem Illuminaten-Orden, Frankfurt/M.
1794, p. 165
Gerade in jenen Tagen hatten wir beim Lesen einiger Seiten unserer Diaboliker entdeckt, daß der Graf von SaintGermain bei seinen vielen Verwandlungen auch den Namen Rackoczi geführt hatte, so jedenfalls berichtete es der preu-
ßische Gesandte am sächsischen Hof zu Dresden. Und der Landgraf von Hessen, an dessen Hof Saint-Germain angeblich gestorben war, hatte gesagt, er sei transsylvanischer Herkunft gewesen und habe sich Ragozki genannt. Hinzu kam, daß Comenius seine Pansophia (ein zweifellos rosenkreuzerisch angehauchtes Werk) einem Landgrafen (wie viele Landgrafen gab es in dieser Geschichte?) namens Ragov-sky gewidmet hatte. Und schließlich, letztes Steinchen im Mosaik, war mir beim Kramen an einem Bouquinistenstand auf der Piazza Castello ein deutsches Buch über die Freimaurer in die Hände gefallen, ein anonymes Werk, aber mit einer handschriftlichen Eintragung auf dem Vorsatzblatt, derzufolge es von einem gewissen Karl Aug. Ragotgky stammte. Bedachten wir, daß Rakosky der Name des mysteriösen Fremden gewesen war, der vielleicht den Oberst Ardenti umgebracht hatte, ergab sich nun eine Möglichkeit, unseren Grafen von Saint-Germain in die Mäander des Gro-
ßen Plans einzufügen.
»Geben wir diesem Abenteurer damit nicht zuviel Macht?«
fragte Diotallevi besorgt.
»Nein, nein«, beruhigte ihn Belbo, »der muß mit rein, der gehört genauso dazu wie die Sojasoße zum chinesischen Es-588
sen. Sonst ist es nicht chinesisch. Schau dir Agliè an, der versteht was davon: hat er sich als Modell etwa Cagliostro oder Willermoz genommen? Nein, Saint-Germain ist die Quintessenz des Homo Hermeticus.«
Pjotr Iwanowitsch Ratschkowski. Jovial, glatt, katzenhaft schmeichlerisch, intelligent und schlau, genialer Fälscher.
Erst kleiner Beamter, dann in Kontakt mit revolutionären Gruppen, wird er 1879 von der Geheimpolizei verhaftet und beschuldigt, terroristischen Freunden nach einem Attentat auf General Drentel Unterschlupf gewährt zu haben. Läuft über zur Seite der Polizei und geht — schau, schau! — zu den Schwarzen Hundertschaften. 1890 entlarvt er eine Organisation in Paris, die Bomben für Attentate in Rußland bastelt, und läßt zu Hause dreiundsechzig Terroristen verhaften. Zehn Jahre später stellt sich heraus, daß die Bomben von seinen eigenen Leuten gebaut worden waren.
1887 verbreitet er den Brief eines reuigen Ex-Revolutionärs namens Iwanow, der beteuert, daß die Mehrheit der Terroristen Juden seien; 1890 dito eine »Confession par un vieillard ancien révolutionnaire«, worin die im Londoner Exil lebenden Revolutionäre beschuldigt werden, britische Agenten zu sein; 1892 dann einen falschen Text von Plechanow, in dem behauptet wird, die Führung der anarchopopulisti-schen Partei Narodnaja Wolja hätte jene Konfession publizieren lassen.
1902 versucht er eine französisch-russische antisemitische Liga zu konstituieren. Dazu benutzt er eine Technik ähnlich jener der ersten Rosenkreuzer: Er behauptet, daß die Liga bereits existiere, damit sie dann jemand gründet. Aber er benutzt auch noch eine andere Technik: die raffinierte Ver-mengung des Falschen mit Wahrem, wobei ihm das Wahre so abträglich ist, daß niemand am Falschen zweifelt. So läßt er in Paris einen mysteriösen Appell an die Franzosen zirkulieren, der zur Unterstützung einer Russischen Patriotischen Liga mit Sitz in Charkow aufruft. Darin attackiert er sich selber als denjenigen, der die Liga zu Fall bringen wolle, und wünscht sich, daß er, Ratschkowski, seine Haltung ändere.
Er beschuldigt sich selbst, sich so zwielichtiger Figuren wie Nilus zu bedienen, was zutrifft.
Wieso lassen sich nun aber diesem Ratschkowski die Protokolle
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