Das Foucaultsche Pendel
ist«
»Nämlich?«
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»Die letzte Zeile heißt: ›dreimal sechs vor dem Fest (der) Großen Hure.‹ Auch hier ein Zahlenspiel, denn die Quersumme von 1944 ist genau achtzehn. Achtzehn ist dreimal sechs, und diese neue wunderbare Zahlenkoinzidenz suggeriert den Templern eine weitere höchst subtile Anspielung.
1944 ist das Jahr, in dem der Plan sich erfüllen soll. In Hinblick worauf? Nun, natürlich auf das Jahr Zweitausend!
Die Templer glauben, daß am Ende des zweiten Jahrtausends ihr Jerusalem kommt, ein irdisches Jerusalem, das An-ti-Jerusalem. Man verfolgt sie als Häretiker? Wohlan, aus Haß auf die Kirche identifizieren sie sich mit dem Antichrist.
Bekanntlich ist die Zahl 666 in der gesamten okkulten Tradition die Zahl des Großen Tieres. Das Jahr Sechshundert-sechsundsechzig, das Jahr des Tieres, ist das Jahr Zweitausend, in welchem die Rache der Templer triumphieren wird, das Anti-Jerusalem ist das Neue Babylon, und deshalb ist 1944 das Jahr des Festes der Grande Pute, der Großen Hure von Babylon, von der die Apokalypse spricht! Die Anspielung auf die Zahl 666 ist eine Provokation, eine trotzige Krie-gergeste. Ein Bekenntnis zur eigenen Andersartigkeit, wür-de man heute sagen... Schöne Geschichte, nicht wahr?«
Er sah uns mit feuchten Augen an, und feucht glänzten auch seine Lippen und sein Schnurrbart, indes seine Hände zärtlich über den Ordner strichen.
»Okay«, sagte Belbo, »hier werden die Etappen eines Plans skizziert. Aber worin besteht er?«
»Sie fragen zuviel. Wenn ich das wüßte, hätte ich es nicht nötig, meinen Köder auszuwerfen. Aber eines weiß ich: daß in dieser Zeitspanne etwas passiert sein muß und daß der Plan nicht erfüllt worden ist, andernfalls würden wir es, mit Verlaub gesagt, wissen. Und ich kann mir auch denken, warum: 1944 war ein schwieriges Jahr, die Templer konnten schließlich nicht ahnen, daß da ein Weltkrieg im Gange sein würde, der alle Kontakte erschwerte.«
»Entschuldigen Sie, wenn ich mich einmische«, sagte Diotallevi, »aber wenn ich recht verstehe, kommt nach der Öffnung des ersten Siegels die Dynastie seiner Hüter nicht zum Erlöschen. Sie geht weiter bis zur Öffnung des letzten Siegels, wenn alle Repräsentanten des Ordens präsent sein müssen. Somit hätten wir jedes Jahrhundert, beziehungsweise alle hundertzwanzig Jahre, immer sechs Siegelbewah-166
rer an jedem Ort, also zusammen sechsunddreißig.«
»Genau«, sagte Ardenti.
»Sechsunddreißig Ritter für jeden der sechs Orte macht zusammen 216, die Quersumme ist 9. Und da es sich um sechs Jahrhunderte handelt, multiplizieren wir 216 mit 6 und kommen auf 1296, eine Zahl, deren Quersumme 18 ist, also dreimal sechs, 666.« Diotallevi wäre vermutlich zur arithme-tischen Neubegründung der Universalgeschichte fortgeschritten, wenn Belbo ihn nicht gestoppt hätte mit einem Blick, wie ihn eine Mutter ihrem Kind zuwirft, wenn es etwas Ungehöriges tut. Doch der Oberst erkannte in Diotallevi einen Erleuchteten.
»Großartig, was Sie mir da demonstrieren, Herr Doktor!
Sie wissen, daß neun die Anzahl der ersten Ritter war, die den Kern des Templerordens in Jerusalem konstituierten!«
»Der Große Name Gottes, wie er im Tetragrammaton ausgedrückt ist«, sagte Diotallevi, »hat zweiundsiebzig Lettern, und sieben plus zwei macht neun. Aber ich will Ihnen noch mehr sagen, wenn Sie erlauben. Nach der pythagoreischen Tradition, welche die Kabbala aufgreift (oder von welcher sie inspiriert wird), ergibt die Summe der ungeraden Zahlen von eins bis sieben sechzehn, und die Summe der geraden Zahlen von zwei bis acht ergibt zwanzig, und zwanzig plus sechzehn macht sechsunddreißig.«
»Mein Gott, Herr Doktor«, rief bebend der Oberst, »ich wußte es doch, ich wußte es! Sie bestätigen mich. Ich bin der Wahrheit nahe!«
Mir war nicht ganz klar, inwieweit Diotallevi aus der Arithmetik eine Religion machte oder aus der Religion eine Arithmetik, und vermutlich war beides der Fall: ich hatte vor mir einen Atheisten, der die Entrückung in höhere Himmel genoß. Er hätte ein Fanatiker des Roulette werden können (und das wäre besser für ihn gewesen), aber er wollte lieber ein ungläubiger Rabbi sein.
Ich weiß nicht mehr genau, was geschah, aber Belbo inter-venierte mit seinem gesunden piemontesischen Menschenverstand und brach den Zauber. Dem Oberst blieben noch ein paar Zeilen zu interpretieren, und wir alle waren neugierig auf seine Deutung. Und es war bereits sechs Uhr
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