Das Frankenstein-Projekt (German Edition)
Therapie nicht mehr zu seiner alten Form zurückgefunden. Mittlerweile war Talbot offenbar eine Gefahr für sich selbst und für andere geworden. Und auch wenn bis zum Beweis des Gegenteils die Unschuldsvermutung galt, sah es im Augenblick so aus, als habe er ein weiteres Menschenleben auf dem Gewissen. Tiefer konnte ein Agent der Agency kaum fallen. Ihn zu finden und dingfest zu machen, hatte höchste Priorität. Dummerweise hatten sie keinerlei Anhaltspunkte, was seinen augenblicklichen Aufenthaltsort betraf.
»Mal angenommen, Talbot hat den Koffer«, meinte Millycent. »Dann wird er ihn aus einem ganz bestimmten Grund in seinen Besitz gebracht haben, habe ich recht? Könnten wir da nicht versuchen, aus dem Motiv für den Diebstahl Rückschlüsse auf seinen Aufenthalts- oder Zielort zu ziehen?«
Darwin Nights an sich schon rotes Gesicht war noch eine Spur röter geworden. Millycent sah es auf dem kleinen Display ihres Mobiltelefons. »Dafür müssten wir natürlich wissen, was sich in dem Koffer befindet.«
Ganz schön mutig, dachte Maxwell Purdy, auf diese plumpe Weise zu versuchen, ihrem Boss geheime Informationen zu entlocken. Trotzdem sagte er: »Agent Miller hat recht, Sir. Das würde uns sicher um einiges weiterbringen.«
Erstaunlicherweise ging Night darauf ein. »Also schön, Agent Miller. Der Koffer an sich ist völlig wertlos. Es geht um die fast 200 Jahre alten Papiere, die sich darin befinden. Aus zuverlässiger Quelle wissen wir, dass sie Informationen enthalten, die für die Agency von ungeheurer Wichtigkeit sind.«
»Mikroschrift also«, warf Purdy ein, der sich an Nights Behauptung erinnerte, es seien sich nur leere Blätter im Koffer.
»Erstes Halbjahr Agentenakademie, Dummerchen«, bemerkte Millycent nicht ohne eine deutliche Portion Spott in der Stimme. »Mikroschriften werden erst seit den 1980ern verwendet. Natürlich müssen die hier noch mit guter alter Geheimtinte geschrieben sein.«
»Äh, ja, natürlich.« Purdy bekam vor lauter Verlegenheit ganz rote Ohren.
Millycent strich sich die blonden Locken aus dem Gesicht und fragte: »Und was steht in den Papieren drin, Sir?«
»Wie schon gesagt: Informationen von unschätzbarem Wert. Mehr brauchen Sie zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht zu wissen.«
»Was kann Talbot mit diesen Informationen wollen, Sir? Sie weiterverkaufen?«, fragte Purdy.
»Nun, so ganz genau wissen wir das noch nicht, Agent Purdy. Aber wir glauben, er handelt im Auftrag einer dritten, uns noch unbekannten Person.«
»Verstehe. Sollten wir nicht versuchen, herauszufinden, wer diese Person ist?«
»Finden Sie zunächst einmal Talbot und stellen Sie fest, ob er tatsächlich im Besitz des Koffers ist«, sagte Night. »Irgendwo muss er gewohnt haben, selbst wenn er unter falschem Namen abgestiegen ist. Fragen Sie sich durch die Hotels und Pensionen der Gegend. Vorzugsweise die in der Nähe von Wäldern. Letzte Woche war Vollmond und er wird hungrig gewesen sein. Möglicherweise hat er ein paar Schafe gerissen. Und fragen Sie nach einem Gast, der außerordentlich viel Gin geordert hat. Wenn Sie den finden, haben wir ihn.«
»Als ehemaliger Agency-Mitarbeiter kennt Talbot unsere Vorgehensweise«, gab Purdy zu bedenken. »Das ist sein Vorteil. Was ist, wenn er das Hotelpersonal angewiesen hat, nichts über seine Anwesenheit nach außen dringen zu lassen?«
»Dann werden wir das trotzdem rausfinden, Maxwell«, sagte Millycent und legte Purdy eine Hand auf die Schulter. »Ich lasse die Gespräche sicherheitshalber über den Promaator laufen.« Und an Night gewandt, fügte sie hinzu: »Dann können wir das zumindest ausschließen, Sir.«
»Ja, machen Sie das. Ausgezeichnet, Agent Miller.«
»Danke, Sir.«
Der Promaator war ein handlicher, aber hochwirksamer Lügendetektor, der auf allerkleinste, durch Stress ausgelöste Schwankungen in der Stimmmodulation reagierte. Man konnte das Gerät auf vielfältige Weise benutzen. Und praktischerweise verfügte es über einen größenverstellbaren Telefonaufsatz. Die Bedienung war kinderleicht: Der Promaator wurde auf die Hörmuschel des Telefons gesetzt und eingeschaltet. Zwei konzentrische Kreise aus Leuchtdioden zeigten durch einen stufenlosen Farbwechsel an, ob der Sprecher log oder die Wahrheit sagte.
»Dann hätten wir da noch den verschwundenen Jungen, Sir«, sagte Purdy. »Soviel wir herausbekommen konnten, heißt er Adrian Bertram und hat hier bei seiner Tante gelebt. Bislang ist er nicht wieder aufgetaucht. Fragt sich,
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