Das Frankenstein-Projekt (German Edition)
Purdy würde dort sein, um ihn in Empfang zu nehmen, wenn er wieder herauskam. Er ging in die Hocke und spähte ins Dunkel. Noch war er ganz allein. Dachte er jedenfalls. Im selben Moment hörte er Millycents ungewohnt aufgeregte Stimme über den Knopf in seinem Ohr.
»Sei vorsichtig, Maxwell«, sagte sie. »Irgendjemand oder irgendetwas ist direkt hinter dir.«
Erschrocken ruckte sein Kopf herum. Nichts. Er spähte nach rechts und links und sah dann abermals hinter sich. Direkt hinter ihm? Was redete Milly denn da? »Ich sehe nichts«, flüsterte er in das winzige Mikro an seinem Handgelenk. »Wo denn?«
Millycent teilte ihm mit, was sie beobachtet hatte.
Rains blickte an sich hinunter, um festzustellen, ob ihn womöglich der vermaledeite Wüstenstaub wieder sichtbar gemacht hatte, als er zu seinem Schrecken die feuchten Fußabdrücke auf dem Beckenrand bemerkte. Merde! Das war gar nicht gut. Wenn man ihn jetzt hier entdeckte, wäre das ganze schöne Unternehmen gefährdet. Rasch machte er einen Schritt ins Gras, wobei er darauf achtete, dorthin zu treten, wo es am dunkelsten war, damit dem Agenten vor ihm die platt getretenen Grashalme nicht auffielen.
»Wo denn, Milly?«, fragte Agent Purdy erneut. »Hier ist nichts …« Sein Blick fiel auf den Rand des Karpfenteichs und er verstummte. »Hoppla, was haben wir denn da?«
Rains hielt die Luft an und rührte sich nicht von der Stelle.
Lautlos wie eine Katze schlich Talbot die Treppe hinunter – er nahm denselben Weg zurück, den er gekommen war. Alles war still. Er erreichte den unteren Flur mit der Sitzgruppe und sah in Richtung Haustür. Plötzlich nahm er eine Bewegung links von sich wahr und wirbelte herum.
Vor ihm stand ein fast zwei Meter großes Muskelpaket in schwarzer Uniform. Dem Stiernacken und dem Bürstenhaarschnitt nach zu urteilen, handelte es sich um einen der Sicherheitsbeamten, die das Anwesen bewachten.
»Tut mir leid, dass ich einfach so hereinplatze«, sagte Talbot auf Englisch und lächelte herzlich. »Sie wissen nicht zufällig, wo ich die Toilette finde?«
Der Riese antwortete auf Französisch, was Talbot nicht verstand, und schüttelte mit einem abschätzigen Grinsen den Kopf. Dann breitete er die mächtigen Arme aus, als wolle er Talbot wie einen lieben Freund an sich drücken.
Der hob jedoch abwehrend beide Hände und trat einen Schritt zurück. »Lassen Sie das lieber. Sie verletzen sich noch«, sagte Talbot. »Sagen Sie, ist das der Weg raus in den Garten?«
Sein Gegenüber tippte sich mit den Fingern an die Ohren und tat so, als hörte er ihn nicht. Und statt einer Antwort streckte er ihm die Fäuste entgegen wie ein zum Kampf bereiter Boxer. Es war nur eine Frage von Sekunden, bevor er zuschlagen würde.
Doch darauf wartete Talbot nicht. In derselben Sekunde, als der Mann mit dem rechten Arm zum Schlag ausholte, tat Talbot drei Dinge gleichzeitig: Er ließ das Holzkästchen zu Boden fallen, trat dem Mann auf den Fuß und packte dessen rechtes Handgelenk. Dann streckte er ruckartig den Arm und schlug dem überrascht nach vorn stolpernden Riesen mit dem Ballen der flachen Hand gegen die Schläfe. Es folgte ein gezielter Faustschlag in die Nieren, dann rammte er dem Kerl den Absatz seines Schuhs in die Kniekehle. Keuchend lag der Mann am Boden. Das Ganze hatte keine drei Sekunden gedauert.
Talbot sah in das Gesicht seines Angreifers. Jetzt, wo das Grinsen daraus gewichen war, sah es gar nicht mehr gefährlich, sondern sehr jung und verletzlich aus. Der Sicherheitsbeamte mochte vielleicht 20, höchstens 25 Jahre alt sein. Das Keuchen ging in leises Wimmern über. Vermutlich waren ein paar Rippen gebrochen.
»Sagen Sie nicht, ich hätte Sie nicht gewarnt«, meinte Talbot. Er hob die Schatulle wieder auf und ging.
Adrian, der das alles an Talbots Steinzeit-Monitor mitverfolgte, stieß einen erleichterten Seufzer aus. Das hätte ins Auge gehen können. »Hast du das gesehen, Isabella?«, fragte er und wandte sich um. »Isabella?«
Doch Isabella war nicht mehr da.
Renfield hatte das Warten satt. Er lehnte den Schirm an einen der bruchsteinernen Torpfosten und sah auf die Uhr. Rains war schon eine ganze Weile fort, und allmählich fing er an, sich Sorgen zu machen. Wenngleich Monsieurs Anweisungen auch völlig anders gelautet hatten, konnte es schließlich nicht schaden, mal nach dem Rechten zu sehen.
»Ts, ts, es sieht nach Regen aus«, murmelte er leise vor sich hin, als er das Gartentor durchschritt und
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