Das fremde Gesicht
eine Frau als vermißt gemeldet wurde, auf die die Beschreibung des Opfers von Donnerstag abend paßt, dann wissen wir es bald.
Vielleicht sind ja eine Menge Antworten miteinander verknüpft.«
15
Helene Petrovic liebte ihre Arbeit als Embryologin mit der Aufsicht über das Labor der Manning Clinic. Mit siebenundzwanzig Jahren verwitwet, war sie von Rumänien in die Vereinigten Staaten ausgewandert, hatte dankbar die Großmütigkeit einer Freundin der Familie angenommen, als Kosmetikerin für sie gearbeitet und begonnen, zur Abendschule zu gehen.
Mit achtundvierzig war sie eine schlanke, gutaussehende Frau mit Augen, die nie lächelten. Wochentags wohnte Helene in einem möblierten Apartment in New Milford, Connecticut, etwa acht Kilometer von der Klinik entfernt.
Die Wochenenden verbrachte sie in Lawrenceville, New Jersey, in dem behaglichen Haus im Kolonialstil, das ihr gehörte. Das Arbeitszimmer dort neben ihrem Schlafzimmer hing voller Bilder der Kinder, denen sie zu ihrer Existenz verholfen hatte.
Helene sah sich als Chef-Kinderärztin einer Säuglingsstation in der Entbindungsabteilung eines guten Krankenhauses an. Der Unterschied war, daß die Embryos in ihrer Obhut verletzlicher waren als das zerbrechlichste Frühgeborene. Sie trug ihre Verantwortung mit leidenschaftlichem Ernst.
Wenn Helene die winzigen Glasgefäße im Labor betrachtete, malte sie sich gern mit Hinblick auf die Eltern wie manchmal auch Geschwister, die sie ja kannte, die Kinder aus, die eines Tages geboren werden mochten. Sie liebte sie alle, aber es gab ein Kind, das sie am allerliebsten hatte, den wunderschönen Blondschopf, dessen süßes Lächeln sie an ihren Mann erinnerte, den sie als junge Frau verloren hatte.
Die Anhörung des Börsenmaklers Baxter zu der Beschuldigung widerrechtlicher Insider-Geschäfte fand im Gericht an der Centre Street statt. Von zwei Anwälten flankiert, erklärte sich der erstklassig gekleidete Angeklagte für nicht schuldig, wobei seine Stimme die Autorität von Börsenverhandlungen reflektierte. Steve war wieder Megs Kameramann. »Was für ein gerissener Schwindler. Da wär’ ich beinah lieber wieder bei den Zwergen in Connecticut.«
»Ich hab’ eine Aktennotiz gemacht und für Tom hingelegt – ich will ’ne Sondersendung über die Klinik dort machen. Heute nachmittag werd’ ich versuchen, ihn dafür zu erwärmen«, sagte Meghan.
Steve zwinkerte. »Sollte ich je Kinder haben, dann hoffentlich auf die altmodische Tour, wenn du weißt, was ich meine.«
Sie lächelte kurz. »Ich weiß, was du meinst.«
Um vier Uhr war Meghan wieder in Toms Büro.
»Meghan, noch einmal von vorne. Sie meinen, diese Frau steht kurz vor der Geburt des eineiigen Zwillingsbruders ihres dreijährigen Sohns?«
»Genau das meine ich. Solch eine Art aufgeteilter Geburt hat man schon in England gemacht, aber hier ist es ein Novum. Außerdem ist die Mutter in diesem Fall ziemlich interessant. Dina Anderson ist eine stellvertretende Bankdirektorin, sehr attraktiv und eloquent und ganz offensichtlich eine großartige Mutter.
Und der Dreijährige ist zum Verlieben.
Dazu kommt die Tatsache, daß so viele Untersuchungen gezeigt haben, daß eineiige Zwillinge, selbst wenn sie von Geburt an getrennt sind, mit den gleichen Vorlieben aufwachsen. Ganz schön gespenstisch manchmal. Sie heiraten etwa Leute mit demselben Namen, geben ihren Kindern dieselben Namen, gestalten ihre Häuser in denselben Farben, tragen die gleiche Frisur, wählen die gleiche Art Kleider. Es wäre interessant herauszufinden, wie sich das Verhältnis ändern würde, wenn der eine Zwilling wesentlich älter als der andere ist.«
»Überlegen Sie mal«, schloß sie. »Es ist erst fünfzehn Jahre her seit dem Wunder des ersten Retortenbabys, und jetzt gibt es schon Tausende von ihnen. Jeden Tag gibt es neue Errungenschaften bei den Methoden der künstlichen Fortpflanzung. Ich finde, laufende Berichte über die neuen Methoden – und spätere Aktualisierungen zu den Anderson-Zwillingen – könnten wirklich toll sein.«
Sie sprach mit Feuereifer, redete sich selbst warm. Tom Weicker ließ sich nicht leicht herumbekommen.
»Wie sicher ist sich Mrs.
Anderson, daß sie den
eineiigen Zwilling bekommt?«
»Absolut sicher. Die tiefgekühlten Embryos sind in individuellen Röhrchen, die mit dem Namen der Mutter, ihrer Sozialversicherungsnummer und ihrem Geburtsdatum versehen sind. Und jedes Röhrchen bekommt seine eigene Nummer. Nachdem Jonathans Embryo
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