Das fremde Gesicht
von Zwiebelsuppe im Raum hing. »Ist noch etwas davon übrig?« Sie wedelte mit der Hand in Richtung Küche.
»Du hast noch nichts zu Abend gegessen? Mac, schenke ihr doch ein Glas Wein ein, während ich etwas aufwärme.«
»Nur Suppe, bitte, Mom.«
Als Catherine aus dem Zimmer war, kam Mac auf sie zu.
»Wie schlimm war’s?« fragte er leise.
Sie wandte sich ab, da sie nicht wollte, daß er die Tränen der Niedergeschlagenheit mitbekam, die sich bemerkbar zu machen drohten. »Ziemlich schlimm.«
»Meg, wenn du lieber allein mit deiner Mutter redest, dann verschwinde ich. Ich dachte nur, sie könnte Gesellschaft gebrauchen, und Mrs. Dileo war bereit, bei Kyle zu bleiben.«
»Das war lieb von dir, Mac, aber du hättest bei Kyle bleiben sollen. Er freut sich immer so darauf, wenn du heimkommst. Kleine Kinder sollte man nicht enttäuschen.
Laß ihn ja nie im Stich.«
Sie hatte das Gefühl, Unsinn zu faseln. Mac umfing ihr Gesicht mit den Händen und drehte es zu sich.
»Meggie, was ist los?«
Meg drückte sich die Handknöchel gegen die Lippen.
Sie durfte nicht zusammenklappen. »Es ist bloß …«
Sie vermochte nicht weiterzureden. Sie spürte, wie Mac sie umarmte. O Gott, sich einfach gehenzulassen, von ihm gehalten zu werden. Der Brief. Neun Jahre war es her, daß er mit dem Brief, den sie geschrieben hatte, zu ihr gekommen war, dem Brief mit der flehentlichen Bitte, er möge doch Ginger nicht heiraten …
»Ich glaube, es wär’ dir lieber, wenn ich das nicht aufhebe«, hatte er damals gesagt. Auch damals hatte er sie in die Arme genommen, erinnerte sie sich. »Meg, eines Tages verliebst du dich. Was du für mich empfindest, ist etwas anderes. Jeder fühlt sich so, wenn der beste Freund oder die beste Freundin heiratet. Da ist immer die Angst, daß jetzt alles anders wird. Das wird bei uns beiden nicht passieren. Wir bleiben immer Kumpel.«
Die Erinnerung war so frisch wie ein Guß kalten Wassers. Meg richtete sich auf und wich einen Schritt zurück. »Ich bin schon okay, ich bin bloß müde und hungrig.« Sie hörte die Schritte ihrer Mutter und wartete ab, bis sie wieder im Zimmer war. »Ich habe ein paar ziemlich unangenehme Neuigkeiten für dich, Mom.«
»Ich glaube, ich lass’ euch beide jetzt lieber allein, damit ihr euch aussprechen könnt«, sagte Mac.
Catherine aber hielt ihn auf. »Mac, du gehörst zur Familie. Ich möchte, daß du dableibst.«
Sie setzten sich an den Küchentisch. Es kam Meghan so vor, als könne sie die Anwesenheit ihres Vaters spüren. Er war es gewesen, der stets noch spät das Abendessen zubereitete, wenn früher im Gasthof reger Betrieb herrschte und ihre Mutter nicht dazu gekommen war, etwas zu essen. Er war ein perfekter Schauspieler, wenn er sich das Gehabe eines Oberkellners im Umgang mit einem nörgelnden Gast zu eigen machte. »Dieser Tisch ist nicht ganz zu Ihrer Zufriedenheit? Die Sitzbank vielleicht?
Selbstverständlich. Es zieht? Aber es ist kein Fenster offen. Der Gasthof ist luftdicht versiegelt. Möglicherweise ist es die Luft, die zwischen ihren Ohren weht, Madame.«
Während sie an ihrem Wein nippte und die dampfende Suppe, so appetitlich sie war, stehenließ, bis sie den beiden über die Begegnung in Chestnut Hill berichten konnte, sprach Meghan über ihren Vater. Absichtlich erzählte sie zuerst von seiner Kindheit, von Cyrus Grahams Überzeugung, der Grund für Edwins Abwendung von seiner Mutter liege darin, daß er das Risiko, sie könne ihn wiederum im Stich lassen, nicht ertragen konnte.
Meghan beobachtete die Miene ihrer Mutter und sah die Reaktion, auf die sie gehofft hatte, Mitleid für den kleinen Jungen, den niemand wollte, für den Mann, der nicht das Wagnis eingehen konnte, womöglich zum drittenmal verletzt zu werden.
Doch dann war es notwendig, sie über die Begegnung von Cyrus Graham und Edwin Collins in Scottsdale aufzuklären.
»Er hat eine andere Frau als seine Ehefrau vorgestellt?«
Die Stimme ihrer Mutter verriet keinen Ausdruck.
»Mom, ich weiß es nicht. Graham wußte, daß Dad verheiratet war und eine Tochter hatte. Er nahm an, daß Dad mit seiner Frau und Tochter dort war. Dad hat so was Ähnliches gesagt wie: ›Frances und Annie, das ist Cyrus Graham.‹ Mom, hatte Dad irgendwelche anderen Verwandten, von denen du was weißt? Könnte es sein, daß wir in Arizona Kusinen oder Vettern haben?«
»Herrgott noch mal, Meg, wenn ich schon in all den Jahren nicht gewußt habe, daß deine Großmutter noch lebte, wie sollte
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