Das fremde Gesicht
Versionen, bis sie zufrieden war. Sie wußte, daß ihre Rechtschreibung fehlerhaft war, und sie mußte einige Begriffe nachschlagen, aber schließlich schien das Schreiben in Ordnung zu sein. Es war an Mr. Potters gerichtet:
Lieber Mr. Potters, ich freue mich, Ihnen sagen zu können, daß Jan, der Vater von meinem Baby, der ist, der mich besuchen gekommen ist. Wir werden heiraten, und er will sich um uns kümmern. Er muß gleich zu seiner Arbeit zurück, also fahre ich mit ihm weg. Er arbeitet jetzt in Dallas. Ich liebe Jan sehr, und ich weiß, daß Sie sich bestimmt für mich freuen. Danke.
Stephanie Petrovic
Der Wagen für sie kam pünktlich um sieben. Der Fahrer trug ihr Gepäck hinaus. Stephanie hinterließ die Nachricht und den Hausschlüssel auf dem Eßzimmertisch, machte die Lichter aus, schloß die Tür hinter sich und eilte durch die Dunkelheit den gefliesten Gehweg hinunter zum wartenden Auto.
Meghan versuchte am Montag morgen Stephanie Petrovic anzurufen. Es meldete sich niemand. Sie setzte sich an den Eßzimmertisch, wo sie begonnen hatte, die Geschäftsakten ihres Vaters durchzusehen.
Sofort fiel ihr etwas auf. Es lag eine Buchung und Abrechnung für fünf Tage im Four Seasons Hotel in Beverly Hills für ihn vor, vom 23. bis zum 28. Januar, dem Tag, als er nach Newark flog und verschwand. Nach den ersten beiden Tagen waren keine Extras auf der Rechnung aufgeführt. Selbst wenn er zumeist auswärts aß, dachte Meghan, dann bestellt man doch mal Frühstück oder macht einen Anruf oder holt sich etwas zu trinken aus der Minibar – irgend etwas.
Andererseits, falls sein Zimmer im Erdgeschoß lag, hätte es ihrem Vater ähnlich gesehen, einfach zum Frühstücksbuffet zu gehen und sich Saft, Kaffee und ein Brötchen zu holen. Er aß morgens nie viel.
Für die ersten beiden Tage jedoch waren durchaus Kosten aufgelistet, Zimmerservice zum Beispiel, eine Flasche Wein, etwas zum Knabbern am Abend, Telefongespräche. Sie notierte sich die Daten der drei Tage, an denen keine Extrabeträge angefallen waren.
Vielleicht lag da ein Muster vor, dachte sie.
Gegen zwölf versuchte sie erneut Stephanie zu erreichen, und wiederum nahm niemand den Hörer ab. Um zwei Uhr begann sie sich Sorgen zu machen und rief Charles Potters, den Anwalt, an. Er versicherte ihr, Stephanie gehe es gut. Er habe am Vorabend mit ihr gesprochen und erfahren, daß jemand von der Rumänischen Gesellschaft sie besuchen wolle.
»Da bin ich froh«, sagte Meghan. »Sie ist ein sehr verängstigtes Mädchen.«
»Ja, das stimmt«, bestätigte Potters. »Da gibt es etwas, was nicht allgemein bekannt ist: Wenn jemand sein gesamtes Vermögen einer wohltätigen oder medizinischen Einrichtung wie der Manning Clinic vermacht, dann kann die Institution, falls ein naher Verwandter bedürftig ist und vorhat, das Testament anzufechten, einen außergerichtlichen Vergleich anbieten. Nachdem Stephanie jedoch vor laufender Fernsehkamera der Klinik buchstäblich vorgeworfen hat, sie sei für den Mord an ihrer Tante verantwortlich, kam solch eine Regelung nicht mehr in Frage. Es hätte wie Schweigegeld ausgesehen.«
»Ich verstehe«, sagte Meghan. »Ich werd’s weiter bei Stephanie versuchen, aber könnten Sie ihr bitte ausrichten, sie möchte mich anrufen, falls Sie von ihr hören? Ich finde nach wie vor, daß jemand den Mann ausfindig machen sollte, der sie geschwängert hat. Wenn sie ihr Kind weggibt, bereut sie es vielleicht eines Tages.«
Meghans Mutter war für den Frühstücks- und Lunchbetrieb zum Gasthof gegangen, und sie kehrte gerade zum Haus zurück, als Meg ihr Gespräch mit Potters beendete.
»Komm, ich helf dir«, sagte sie und setzte sich neben Meg an den Eßzimmertisch.
»Du kannst eigentlich für mich weitermachen«, entgegnete Meg. »Ich muß unbedingt zu meiner Wohnung fahren und etwas zum Anziehen holen und nach der Post schauen. Es ist der erste November, und all die netten Fensterkuverts werden eingetrudelt sein.«
Am Abend zuvor, nachdem ihre Mutter vom Gasthof heimgekehrt war, hatte sie ihr von dem Mann mit der Kamera erzählt, der Kyle erschreckt hatte. »Ich hab’ schon jemanden vom Sender gebeten, die Sache für mich zu überprüfen; ich hab’ noch nichts gehört, bin mir aber sicher, daß irgendeins von diesen billigen Programmen einen Bericht über uns und Dad und die Andersons zusammenstellt«, sagte sie. »Uns von jemand bespitzeln zu lassen, ist typisch für ihre Arbeitsweise.« Sie hatte Mac nicht erlaubt, die
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