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Das fremde Gesicht

Titel: Das fremde Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Higgins Clark
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nicht. Ich bleibe hier im Hotel, bis ich von ihr höre. Sie hat gesagt, sie will mit mir reden.«
    »Was kann sie dir denn noch zu sagen haben, Meg?«
    »Sie weiß noch kaum etwas über Annies Tod.«
    Meghan erkannte, daß sie sich zu ausgelaugt fühlte, um weiterzureden. »Mom, ich hör’ jetzt lieber auf. Wenn du die Chance bekommst, Mac von dieser Sache zu erzählen, ohne daß Kyle es hört, dann tu’s doch.«
    Meghan hatte auf dem Bettrand gesessen. Nachdem sie sich von ihrer Mutter verabschiedet hatte, lehnte sie sich auf die Kissen zurück und schloß die Augen.
    Sie wurde vom Läuten des Telefons geweckt. Sie setzte sich auf und merkte, daß der Raum um sie dunkel und kühl war. Die beleuchteten Ziffern des Radioweckers zeigten, daß es fünf nach acht war. Sie beugte sich zur Seite und griff nach dem Hörer. Ihre Stimme erschien ihren eigenen Ohren angespannt und heiser, als sie murmelte: »Hallo.«
    »Meghan, hier ist Frances Grolier. Können Sie morgen so früh wie möglich zu mir kommen?«
    »Ja.« Es schien einer Kränkung gleichzukommen, sich nach ihrem Befinden zu erkundigen. Wie konnte es schon irgendeiner Frau in ihrer Situation gehen? Statt dessen fragte Meghan: »Wäre Ihnen neun Uhr recht?«
    »Ja, und danke.«

    Obwohl sich der Kummer tief in ihr Gesicht eingegraben hatte, machte Frances Grolier am nächsten Morgen einen gefaßten Eindruck, als sie Meghan die Tür öffnete. »Ich hab’ Kaffee gemacht«, sagte sie.
    Mit der Tasse in der Hand saßen sie beide ziemlich steif auf dem Sofa, einander schräg zugewandt. Frances Grolier kam gleich zur Sache. »Sagen Sie mir, wie Annie umgekommen ist«, forderte sie. »Sagen Sie mir alles! Ich muß es wissen.«
    Meghan begann: »Ich war beruflich im Roosevelt-St.
    Luke’s Hospital in New York …« Wie in dem Gespräch mit ihrer Mutter versuchte sie nicht, die Dinge zu bemänteln. Sie erzählte von dem Fax, das sie bekommen hatte: Versehen. Annie war ein Versehen.
    Frances beugte sich vor, die Augen höchst erregt. »Was soll das Ihrer Meinung nach bedeuten?«

    »Das weiß ich nicht.« Sie fuhr fort, ohne irgend etwas auszulassen: von dem Notizzettel, der in Annies Tasche gefunden wurde, über Helene Petrovics gefälschte Unterlagen und Tod bis zu dem Haftbefehl gegen ihren Vater. »Man hat seinen Wagen gefunden. Sie wissen ja vielleicht, daß er einen Waffenschein besaß. Seine Pistole war im Auto. Das war die Waffe, mit der Helene Petrovic ermordet wurde. Ich halte es für völlig ausgeschlossen, daß er irgendwen umbringen könnte.«
    »Ich auch.«
    »Gestern haben Sie zu mir gesagt, daß Sie glauben, mein Vater lebt vielleicht noch.«
    »Ich halte es für möglich«, sagte Frances Grolier.
    »Meghan, ich hoffe, daß wir uns nach dem heutigen Tag nie mehr sehen. Es wäre zu schwierig für mich, und, wie ich annehme, auch für Sie. Aber ich schulde Ihnen und Ihrer Mutter eine Erklärung.
    Ich lernte Ihren Vater vor siebenundzwanzig Jahren im Palomino-Lederwarengeschäft kennen. Er wollte eine Brieftasche für Ihre Mutter kaufen und hatte zwei in die engere Wahl gezogen. Er fragte mich, welche mir besser gefiel, danach hat er mich zum Lunch eingeladen. So hat alles angefangen.«
    »Er war damals erst drei Jahre verheiratet«, sagte Meghan ruhig. »Ich weiß, daß mein Vater und meine Mutter glücklich miteinander waren. Ich verstehe nicht, wieso er eine Beziehung mit Ihnen nötig hatte.« Sie hatte das Gefühl, vorwurfsvoll und gefühllos zu klingen, aber sie konnte es nicht ändern.
    »Ich wußte, daß er verheiratet war«, erklärte Grolier. »Er hat mir Ihr Bild und das von Ihrer Mutter gezeigt. Nach außen hin hatte Edwin alles zu bieten: Charme, gutes Aussehen, Witz, Intelligenz. Im Innern war er – oder ist er

    – ein zutiefst unsicherer Mensch. Meghan, versuchen Sie, ihn zu verstehen und ihm zu vergeben. In so vieler Hinsicht war Ihr Vater noch immer das verletzte Kind, das befürchtete, man könnte es wieder im Stich lassen. Er brauchte die Gewißheit, daß er noch einen Platz hatte, wo er hin konnte, einen Platz, wo ihn jemand aufnehmen würde.«
    Ihre Augen füllten sich mit Tränen. »Es war uns beiden recht so. Ich war in ihn verliebt, wollte aber nicht die Verantwortung für eine Ehe übernehmen. Ich wollte nur frei dafür sein, die beste Bildhauerin zu werden, die ich werden konnte. Für mich war die Beziehung gerade richtig, offen und ohne Ansprüche.«
    »War denn ein Kind kein Anspruch, keine Verantwortung?« fragte

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