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Das fremde Haus

Das fremde Haus

Titel: Das fremde Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sophie Hannah
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freut sie sich nicht darauf. Warum sollte sie auch?
    Ich wische mir den Schweiß von der Oberlippe und steige aus dem Auto, wobei ich mir in Erinnerung rufe, dass es keinen Grund zur Nervosität gibt. Ich habe ihr in meinem Brief bereits alles erzählt. Heute ist sie an der Reihe, mir zu erzählen, was sie weiß. Und irgendetwas muss sie wissen, schließlich ist Bentley Grove 11 ihr Zuhause.
    Obwohl sie gar nicht diesen Eindruck erweckt, denke ich, als ich den lavendelgesäumten Gartenpfad entlang auf sie zugehe. Ihre Körpersprache deutet eher darauf hin, dass sie vor einem Haus steht, dass nichts mit ihr zu tun hat, dass sie nicht genau weiß, was sie hier eigentlich soll. »Ich wollte nicht allein reingehen«, erklärt sie, und ich kann aus ihrer Stimme heraushören, wie sehr sie sich wünscht, das Haus möge nicht ihr gehören.
    »Vielen Dank, dass Sie bereit waren, sich mit mir zu treffen«, sage ich.
    Sie schließt die Haustür auf. Mit gesenkten Augen bedeutet sie mir, voranzugehen. Sie würde lieber draußen in der Sonne und an der frischen Luft bleiben, sie will den Augenblick des Eintretens so lange hinauszögern wie möglich. Und da weiß ich es, sie wird mein Angebot annehmen.
    Sie will nichts mehr mit Bentley Grove 11 zu tun haben, und das ist ein heftiges Verlangen, nicht nur ein einfacher Wunsch. Als wir gemeinsam das Haus betreten, muss sie sich fühlen, als würde sie in einen abgetrennten Teil ihrer Vergangenheit einbrechen.
    Ich hingegen trete in meine Zukunft hinein, ohne eine Ahnung zu haben, was sie mir bringen wird.
    Ich hatte eine unheilvolle Atmosphäre erwartet, aber da ist nichts. Das Haus ist hell und luftig. Harmlos. Aber schließlich sind es ja auch nicht die Häuser, die anderen Schaden zufügen, sondern die Menschen, die in ihnen leben. Als ich mich umschaue, vergesse ich keinen Moment, dass Selina Gane hinter mir steht. Es riecht nach Lavendel. Sie hat die Haustür nicht zugemacht. Ich nehme an, sie wird sie offen stehen lassen, so lange wir hier drin sind. Sie will nicht in diesem Haus eingeschlossen sein.
    Ohne dazu aufgefordert worden zu sein, gehe ich in Richtung Wohnzimmer. Ich kann mich nicht erinnern, mir auf Roundthehouses den Grundriss angesehen zu haben, aber das muss ich wohl getan haben, weil ich ihn in Gedanken vor mir sehe und weiß, wo alles ist. Ich weiß, dass das Zimmer, in dem die tote Frau lag, hinter dieser Tür zu meiner Rechten liegt.
    Ich brauche das Zimmer nicht zu betreten. Ein Blick verrät mir, dass da kein Blut ist, keine Leiche.
    Hast du wirklich erwartet, dass es noch da ist? Auf dich wartet?
    Ich sehe eine ausgedehnte Fläche unbefleckten beigen Teppichbodens, den Rand des Couchtischs, den mit den gefangenen Blumen unter dem Glas. Der Kamin, die Landkarte, die darüber hängt … Mir war ja klar, dass all diese Dinge wirklich sind, aber es ist trotzdem ein merkwürdiges Gefühl, sie vor mir zu sehen, es ist, als würde man in einen Traum fallen.
    »Ich kenne Ihren Mann nicht«, sagt Selina Gane. »Ich habe ihn nie kennengelernt, und ich habe keine Affäre mit ihm.«
    Dann muss sie meinen Brief ziemlich verwirrend gefunden haben.
    Die Treppe. Ich hätte mir als Erstes die Treppe ansehen sollen, und es beunruhigt mich, dass ich es nicht getan habe. Mein Kopf arbeitet nicht so, wie er sollte, dazu überwältigt es mich zu sehr, hier zu sein. Seit sechs Monaten denke ich fast ununterbrochen an dieses Haus. Ich habe ganze Tage damit verbracht, davorzustehen. Und jetzt, wo sowohl die Eigentümerin als auch die Polizei es aufgegeben haben, habe ich mir die Aufgabe gestellt, seine verborgene Geschichte ans Licht zu bringen.
    Niemandem liegt so viel an diesem Haus wie mir. Habe ich deshalb das Gefühl, es würde mir bereits gehören?
    Selina Gane bricht das Schweigen und sagt: »Ich bin Ärztin. Den größten Teil meiner wachen Stunden bringe ich damit zu, Menschenleben zu retten. Ich habe noch nie jemanden umgebracht, und falls ich das vorhätte, würde ich es nicht in meinem Wohnzimmer tun.«
    Ich nicke.
    »Hatte Ihr Mann wirklich diese Adresse als Heimatort in seinem Navi gespeichert?«
    »Ja.« Ich fahre mit der Hand über das Treppengeländer. Der Knauf oben auf dem ersten Treppenpfosten ist aus dunklem Holz – ein braun lackierter Kubus mit abgerundeten Ecken.
    »Ich muss Sie etwas fragen«, sage ich. Ich muss Sie nach dem Todesknopf fragen. »Auf dem Foto von …«
    Fang noch mal von vorn an.
    »Etwas an diesem Treppengeländer ist anders.« So ist es

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