Das fremde Haus
»Das Beth Dutton-Zentrum ist eine Schule?«
»Nicht direkt«, sagte Kit. »Ich habe es überprüft. Es sind die beiden sechsten Klassen einer Privatschule mit einer maximalen Klassengröße von vierzehn Schülern – es werden also nie mehr als achtundzwanzig Kinder im Haus sein. Kann sein, dass sie ihre Fahrräder an unserem Zaun anschließen, aber bestimmt sind sie ganz zivilisiert. Das sind die meisten Dinge in Cambridge.«
»Was ist mit dem Gong?«, gab ich zu bedenken. »Wird es nicht nach jeder Stunde zur Pause läuten? Das könnte störend sein – wir würden es durch die Wände hindurch hören.«
Kit hob die Augenbrauen. »Ich dachte, du wolltest turbulente urbane Lebendigkeit? Wir können ja auch nach Little Holling ziehen, ganz in die Nähe deiner Familie, da wirst du nichts hören außer dem Wachsen der Blumen und einem gelegentlichen Quietschen, wenn jemand den Herd poliert.«
»Nein, du hast recht«, sagte ich. »Ich finde das Haus wunderbar.«
»Denk doch nur, wie viel Platz wir haben werden. Die wirst ein abgedunkeltes viktorianisches Krankenzimmer ganz für dich allein haben.«
»Vermutlich könnten wir die Beth Dutton-Leute bitten, die Klingel etwas leiser zu stellen, wenn das zum Problem werden sollte.«
»Die Klingel wird kein Problem sein.« Kit seufzte. »Das einzige Problem sind deine Ängste.«
Ich wusste, dass er recht hatte, und ich wusste, dass es nur eine einzige Lösung gab. Ich musste durchziehen, wovor ich solche Angst hatte, und mir damit beweisen, dass davon nicht die Welt unterging. Meine Eltern würden sich irgendwann schon wieder beruhigen, und ich konnte sie ja regelmäßig besuchen. Ein Gegenbesuch meiner Eltern in Cambridge war weniger wahrscheinlich. Vor drei Jahren hatte meine Mutter eine Freundin in Guildford besucht. Am zweiten Tag bekam sie eine Panikattacke, und mein Vater musste sie nach Hause holen. Seitdem ist sie nie weiter gefahren als bis zum Zentrum von Silsford.
»Also, was machen wir?«, fragte Kit. Wir saßen in seinem Auto vor dem Maklerbüro in der Hills Road. »Kaufen wir das Haus oder nicht?«
»Eindeutig«, sagte ich.
Wir sagten die restlichen Hausbesichtigungen ab, die wir für den Tag vereinbart hatten. Kit gab ein Angebot für Pardoner Lane 17 ab, und die Maklerin versprach, sich zu melden, sobald sie mit dem Verkäufer gesprochen hatte.
Als ich am nächsten Morgen aufwachte, stellte ich fest, dass ich eine Gesichtshälfte nicht bewegen konnte. Mein rechtes Auge ließ sich nicht mehr schließen – ich konnte lediglich das Augenlid herunterziehen wie ein Rollo und es dort ruhen lassen –, und die Zunge herausstrecken ging auch nicht, oder jedenfalls nur nach links, nicht nach vorn. Kit befürchtete, ich könnte einen Schlaganfall erlitten haben, aber ich beruhigte ihn. »Es ist nur das, wovon du gestern gesprochen hast«, sagte ich. »Stress, Ängste. Ignoriere es einfach – das habe ich auch vor.« Glücklicherweise war die Lähmung nicht sofort für jeden offensichtlich. Kit machte sich weitaus mehr Sorgen deswegen als ich. Ich versprach ihm, dass die Symptome schon wieder verschwinden würden, sobald wir umgezogen wären und uns in dem Haus eingerichtet hätten, dass wir beide bereits »unser« Haus nannten.
»Du verstehst mich eben nicht so gut, wie ich mich selbst verstehe«, wiederholte ich ständig. »Das ist der letzte verzweifelte Versuch meines einer Gehirnwäsche unterzogenen Unterbewusstseins, dafür zu sorgen, dass ich den Rest meiner Tage damit zubringe, den Angstgott anzubeten. Ich muss dagegen angehen. Und wenn mir die Beine abfallen, ich blind werde oder mich in einen Mistkäfer verwandle – wir kaufen dieses Haus.«
Es dauerte eine Weile, bis die Maklerin sich bei Kit meldete. Als sie es endlich tat, nachdem sie vier Tage lang seine Anrufe und Nachrichten ignoriert hatte, erfuhr er, dass es noch einen anderen Interessenten gab, der mehr Geld geboten hatte als wir, sogar mehr als den geforderten Kaufpreis. »Wir können höher gehen«, sagte Kit zu mir und tigerte nervös im Wohnzimmer unserer Mietwohnung in Rawndesley umher. »Was wir nicht können, ist mehr bieten und trotzdem noch Essen gehen, Urlaub machen …«
»Dann kaufen wir das Haus eben nicht«, sagte ich. Nach der ersten Enttäuschung spürte ich, wie sich ein Knoten in mir zu lösen begann.
»Ich bin bereit, Opfer zu bringen und den Gürtel enger zu schnallen, wenn du es auch bist«, sagte Kit. »Wir gehen ziemlich oft essen, und meistens sind wir
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