Das fremde Jahr (German Edition)
nicht korrekten und faden Satz zustande: »Etwas zu tun für die Schule?« Das beantwortet Frau Bergen mit einem höflichen »Nein, nichts.« Also sortiere ich die Wäsche in vier ordentliche Stapel und bin zufrieden mit dem Ergebnis, da ich so etwas zum ersten Mal getan habe. Ich bringe die Stapel von Nina und Thomas nach oben und lege sie auf ihre Betten. Ich zögere, weil ich nicht weiß, ob ich das Schlafzimmer der Eltern betreten soll, und beschließe dann, ihre Wäsche auf den Couchtisch im Wohnzimmer zu legen.
Ich weiß nicht, was ich mit meiner scheußlichen Frisur anfangen soll, die mich total verunstaltet. Vor dem Spiegel in meinem Zimmer versuche ich, mir ein Kopftuch umzubinden, doch das Ergebnis ist lächerlich. Ich muss mir ein dünneres Kopftuch in hübschen Farben kaufen. Im Supermarkt habe ich kein Haargel gefunden, nur eine Art intensiv riechendes Haarspray, das ich mir in die Haare sprühe, um dann festzustellen, dass es die Haare verklebt. Aber immerhin gelingt es mir, die widerspenstigen Haarstoppel flach zu drücken, und das gibt mir Hoffnung. Ich drücke sie mehrmals runter, und wäre da nicht der seltsame Geruch – der zusammen mit dem Benzingestank vor meinem Fenster eine seltsam abstoßende Mischung ergibt –, wäre ich mit dem Ergebnis durchaus zufrieden. Die neue Frisur bringt etwas Glanz in meine Augen. Ich betone meinen neuen Look dadurch, dass ich mir einen schwarzen Strich unter die Augen male, und das Mädchen, das mich dann aus dem Spiegel anblickt, ist nicht mehr ganz wie früher. Es ist eine Heranwachsende, die mit der Adoleszenz abgeschlossen hat, aber noch nicht weiß, was sie nun erwartet. Ein Mädchen, das an Stürme und Ungesagtes gewöhnt ist, an Abschiede und an Luftlöcher. Ich muss unbedingt ein Foto machen und es Simon schicken. Ich nehme mir für den nächsten Tag zwei Dinge vor: ein Kopftuch zu kaufen und einen Passbildautomaten zu finden.
Ich gehe zu Thomas in sein Zimmer und versuche, ihm eine neue Aufgabe zu erklären: mit mir zusammen den Tisch zu decken. Er fürchtet, ich könnte ihm eine Falle stellen, wagt aber nicht, mir einen Korb zu geben, und wir wechseln fragende Blicke, als wir die Messer, Gabeln und Gläser an die richtigen Stellen legen beziehungsweise stellen. Er schaut mich seit meiner Ankunft an, als halte er mich für etwas Exotisches, dünn und braungebrannt, wie ich bin, und mit meinem fast kahlrasierten Schädel. Er weiß nicht, was er denken soll und deshalb denkt er offenbar gar nichts, macht nur meine Bewegungen nach, vorausgesetzt, sie sind nicht allzu anstrengend. Solange es nur darum geht, den Tisch zu decken, hat er nichts dagegen, es macht ihm sogar einen gewissen Spaß, weil er in einem bescheidenen Rahmen aktiv sein kann; er tut es, weil ein Mädchen, eine Französin, ihn gebeten hat, ihr zu helfen, und weil er alles in allem ein hilfsbereiter Junge ist. Er tut es, weil er noch nicht begriffen hat, wer dieses Mädchen ist, und solange er noch im Zweifel ist und die Wahrheit des einen nicht anfängt, für die des anderen bedrohlich zu werden, nimmt er es nicht so genau. Er ist sogar voll und ganz einverstanden, weil er bei dieser Gelegenheit Herr der Lage ist. Er ist derjenige, der weiß, er ist derjenige, der zeigt und damit die Führung hat. Er lässt sich die Gelegenheit nicht entgehen, mir vorzuführen, dass er hier zu Hause ist und die alltäglichen Abläufe im Griff hat. Er ist bei sich daheim, die Ausländerin nicht, aber das kommt ihm selbstverständlich nicht in den Sinn. So kommt es, dass sich die Situation in ihr Gegenteil verkehrt. Statt Laura zu helfen, prüft Thomas sie und erteilt ihr Befehle. Das geschieht ganz instinktiv.
Herr Bergen legt zwei Würstchen auf meinen Teller, und ich habe nichts dagegen, denn »ich mag Bratwürste«. Herr Bergen macht mir, nachdem er mich bedient hat, ein Kompliment zu meinen »Haaren«. Das ist ein Wort, das mit großer Vorsicht zu genießen ist, denn es bezeichnet Kopfhaare, aber auch Körper- und Barthaare. Frau Bergen bestätigt, dass es sehr viel besser aussieht, und fügt hinzu, dass ihr meine vorherige Frisur nicht gefiel. Sie schaut dabei betrübt, ja, fast etwas angewidert drein, so, wie wenn man ein krankes Hündchen sieht und nicht weiß, ob man ihm helfen möchte oder nicht. Ich lächle tapfer in die Runde, als Nina sich herüberbeugt und an mir schnüffelt, sich dann die Nase zuhält und erklärt: »Das stinkt« – ein Ausdruck, den ich in der Folge noch öfter
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