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Das fremde Jahr (German Edition)

Das fremde Jahr (German Edition)

Titel: Das fremde Jahr (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Giraud
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hören werde und der auch bedeuten kann: Wie scheußlich! Was an mir stinkt, ist die Vanillenote meines Haarsprays, und es stimmt, dass es zusammen mit den Würsten keine ideale Geruchsmischung ergibt. Aber ich muss so tun, als fände ich Ninas Kommentar lustig, obwohl sie mir immer unsympathischer wird. Ich muss so tun, als sei ich gutmütig, lieb und nett, und deshalb darf ich weder schlagfertig noch ironisch sein und auch nichts Doppeldeutiges sagen, obwohl ich mich damit normalerweise aus den kritischsten Situationen rette. Hier aber muss ich passen und weiterhin mit meiner Maske als naives Dummerchen herumlaufen, die ich von Anfang an trage, aber irgendwann ablegen muss, weil ich sonst zu einem Mädchen werde, das ich nur verabscheuen kann. Ungefragt schnappt sich Nina die letzte Kartoffel von meinem Teller und isst sie auf. Dann lacht sie mich leise aus. Nach außen hin tue ich so, als freue ich mich, dass das Kind einen so guten Appetit hat, aber insgeheim ärgere ich mich über diesen Übergriff. Ich muss mich zusammenreißen; nur weil ich meine Sprache verloren habe, muss ich mich noch lange nicht unterwerfen. Aber es ist noch zu früh, um wieder zusammenzufügen, was in mir auseinandergefallen ist. Ich muss die mir fehlende Sprache kompensieren, neue Handlungsweisen erlernen, um zu existieren, ich will kein kleiner Roboter sein, der auf Kommando isst, schläft oder lächelt.
     
    Ich stehe schon vor Nina auf, damit sie nicht noch einmal triumphierend in mein Zimmer platzen kann. Ich stehe bereits in der Küche, als sie oben an der Treppe auftaucht und ihren Schulranzen die Treppe herunterwirft. Allem Anschein nach ist ihr die Kluft des gegenseitigen Unverständnisses noch nicht breit genug. Sie schlittert etwas zu rasch einen Abhang hinunter, der mir nicht gefällt. Ich muss sie aufhalten. Deshalb frage ich sie mit sanfter Stimme, ob ich ihr Frühstück machen soll, aber sie tut, als hätte sie mich nicht gehört, geht selbst an den Kühlschrank, nimmt ein Glas aus dem Schrank und schneidet sich eine Scheibe Roggenbrot ab, während sie mir den Rücken zudreht. Ich bitte sie, mir auch eine Scheibe abzuschneiden, mit der höflichen, obschon in dieser Situation sicher unangemessenen Floskel »Ich hätte gern«, die in meinen Deutschaufsätzen immer sehr gut ankam. Nina schneidet mir eine Scheibe ab, etwas selbstgefällig, wie mir scheint, und mein Blick bleibt an dem großen Messer hängen. Wie erschreckend, was mir da durch den Kopf schießt! Hoffentlich kommt sie nicht auf komische Ideen, Nina darf keinen gewalttätigen Anfall bekommen wie mein Bruder letzten Sommer, der meine Eltern veranlasste, ihn zu einem Psychologen zu schleppen. Aber ich rege mich unnötig auf, Nina hat keinen Grund, mich zu bedrohen. Ich muss diese absonderlichen Ideen abschütteln, die über dem angebrochenen heutigen Tag schweben. Draußen ist es dunkel und kalt, wie jeden Morgen. Wir verlassen das Haus und gehen durch die Dunkelheit, die nur von wenigen Straßenlaternen erhellt wird. Nina fängt an, zunehmend schneller zu gehen, ich rufe ihr nach, sie solle langsamer gehen, aber sie scheint dieses Spielchen zu genießen und fängt sogar an zu rennen, so dass sie mich hinter sich in der Nacht verschwinden sieht. Ich gehe ebenfalls schneller, hole sie aber erst an der Bushaltestelle ein, und sie scheint sich diebisch darüber zu freuen, mich geärgert zu haben. Ihre Laune hat sich merklich verbessert.
     
    Ich traue mich nicht, es den Eltern zu erzählen, die auch heute spät aufstehen und lange durch das obere Stockwerk geistern, ehe sie endlich ihren Tag in Angriff nehmen. Ich hoffe, dass sie bald wegfahren, damit ich endlich allein bin. Ich finde es anstrengend, wenn sie da sind, denn dann muss ich ständig bei Fuß stehen, umso mehr, da sie mir noch keine konkreten Aufgaben übertragen haben. Ich setze mich in einen der Sessel und warte darauf, dass sie endlich herunterkommen, als plötzlich Thomas dasteht. Groß, kräftig, unbeholfen, wie er ist, scheint er doch meine zunehmende Niedergeschlagenheit zu spüren und sagt einige Worte, die ich als aufmunternd deute. Ich merke, dass er mir nicht aus dem Weg geht und mich nicht ignoriert. Ganz im Gegenteil: Er spricht mich trotz seiner Schüchternheit an, macht sich die Mühe, vorsichtig zu lächeln und errötet sogar leicht, ehe er den Kopf wieder abwendet. Er weiß etwas, das ich nicht weiß – warum seine Eltern ein Au-pair-Mädchen eingestellt haben, obwohl dem Anschein nach

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