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Das Fremde Mädchen

Das Fremde Mädchen

Titel: Das Fremde Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellis Peters
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Fragen.«
    »Ich hatte nie die Freiheit, über sie zu sprechen«, sagte Haluin. »Erst heute habe ich sie, und auch nur zu Euch, der eingeweiht ist.« Er schwieg eine Weile. Die Worte kamen langsam und schmerzhaft wie Blutstropfen, wie zurückhaltende und einsame Menschen eben sprechen. Nach einer Weile fuhr er leise fort: »Sie war nicht so schön wie ihre Mutter. Sie hatte nicht dieses dunkle Strahlen, sie war freundlicher. An ihr war nichts Dunkles oder Geheimnisvolles, sie war offen wie eine Blume im Sonnenschein. Sie hatte keine Angst – damals noch nicht. Sie vertraute jedem, und sie war niemals betrogen worden – damals noch nicht. Nur einmal wurde sie betrogen, und daran starb sie.«
    Wieder gab es ein langes Schweigen. Diesmal raschelte es leicht im Heu wie ein Seufzen. Dann fragte er fast schüchtern:
    »Cadfael, Ihr habt die Hälfte Eures Lebens in der Welt verbracht. Habt Ihr je eine Frau geliebt?«
    »Ja«, sagte Cadfael. »Ich habe geliebt.«
    »Dann wißt Ihr, wie es mit uns war. Denn wir liebten uns, sie und ich. Es schmerzt am meisten«, sagte Bruder Haluin, während er resigniert und in wehmütiger Verwunderung zurückblickte, »wenn man jung ist. Man kann sich nicht verstecken, man kann keine Schutzwälle hochziehen. Sie jeden Tag zu sehen... und zu wissen, daß sie fühlte wie ich...«
    Auch wenn er in all den Jahren versucht hatte, die Erinnerung abzustreifen, wenn er versucht hatte, seine Hände, seinen Geist und seine Seele auf die Pflichten zu konzentrieren, die er übernommen hatte, er hatte nichts vergessen, alles war noch in ihm und brach im Nu hervor wie ein schlafendes Feuer, wenn die Tür geöffnet wird. Wenigstens konnte er sich jetzt Luft machen und mit einem Mann darüber sprechen, der ebenfalls gelitten hatte und sein Mitgefühl ausdrücken konnte. Von Cadfael wurden keine Worte erwartet, es war genug, wenn er schwieg und aufmerksam lauschte.
    Haluin schlief, die letzten Worte kaum ausgesprochen, wieder ein und murmelte hin und wieder, von längerem Schweigen unterbrochen, ein fast unhörbares Wort. Es konnte ihr Name sein, Bertrade, es konnte aber auch das Wort ›begraben‹ sein. Egal! Wichtig war nur, daß er es kurz vor dem Einschlafen gesagt hatte, denn nachdem er sich beim Wandern so angestrengt hatte, konnte er sich nun noch eine Weile ungestört und vielleicht bis weit in den Morgen hinein ausruhen.
    Gut so! Der Tag, um den die Pilgerschaft verlängert wurde, mochte seinem ungeduldigen Geist zusetzen, seinem geschundenen Körper aber würde er sicherlich guttun.
    Cadfael erhob sich leise und ließ seinen tief schlafenden Gefährten zurück, der im Heuschober praktisch gefangen war, weil er ohne Hilfe nicht aufstehen und die Leiter herunterklettern konnte. Da die Falltür offenstand, konnte man es unten hören, wenn sich der Schlafende regte, aber nach dem Eindruck, den sein entspannter Körper und das schmale, glatte Gesicht machten, aus dem die Spannungen verschwunden waren, würde er noch eine ganze Weile schlafen.
    Cadfael trat in den klaren, frischen Morgen hinaus und schnüffelte in der unbewegten Luft, die nach dem weichenden Winter und dem noch halb im Schlaf liegenden Waldland roch.
    Von der kleinen Hütte des Waldbauern aus konnte er zwischen den Bäumen einige Stücke des grauen Weges erkennen. Der Wald war so dicht, daß sich hier kaum Unterholz halten konnte.
    Auf der Straße zuckelte ein Handwagen dahin, beladen mit im Herbst abgestorbenen Ästen, die als Feuerholz dienen würden.
    Auffliegende und zwitschernde Vögel, die zwischen den Bäumen und den wehenden Blättern aufgescheucht wurden, begleiteten seinen Weg. Der Waldbauer war schon aufgestanden und ging seinen morgendlichen Arbeiten nach.
    Die Kuh kam herbeigetrottet, um sich melken zu lassen, der Hund sprang dem Mann schwanzwedelnd hinterdrein. Ein trockener Tag, der Himmel war bedeckt aber hoch, das Licht war gut. Ein schöner Tag zum Wandern. Bis zum Abend konnten sie Chenet erreichen, wo sie im Landgut des Königs übernachten würden. Morgen dann weiter nach Lichfield, und dort mußten sie, nahm Cadfael sich vor, noch einmal eine ausgiebige Rast einlegen, so sehr auch Haluin darauf drängen mochte, die paar Meilen bis Elford sofort in Angriff zu nehmen.
    Nach einem guten Nachtschlaf in Lichfield wäre Haluin besser für die Nachtwache gerüstet, die er im Gedenken an Bertrade zu halten gelobt hatte. Danach konnten sie sich dann auf den Rückweg machen, auf dem sie, Gott sei Dank, keine Eile mehr

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