Das Fremde Mädchen
endlich gesagt werden mußte.
Auf der Straße angekommen, die die Bäuerin ihm beschrieben hatte, ritt er schnell und zielstrebig und hielt erst am Tor des Anwesens in Elford wieder an.
Es war die junge Pförtnerin, die später am Morgen an die Türe klopfte und Bruder Haluin aus seiner quälenden Einsamkeit riß. Die Sonne hatte schon lange ihren Schleier abgelegt und das Gras im Garten getrocknet. Er sah sich um, als sie eintrat. Da er aber Cadfael erwartet hatte, riß er verwundert die Augen auf.
»Die Äbtissin schickt mich«, sagte das Mädchen ebenso höflich wie sanft, denn sie hatte den Eindruck, er habe Mühe, sie zu verstehen. »Sie bittet Euch in ihr Sprechzimmer. Wenn Ihr mitkommen wollt, kann ich Euch den Weg zeigen.«
Gehorsam langte er nach seinen Krücken. »Bruder Cadfael ging fort und kehrte bisher nicht zurück«, sagte er langsam und sah sich um wie ein Mann, der aus einem Traum erwacht.
»Wird er auch anwesend sein? Soll ich nicht besser auf ihn warten?«
»Nein, das ist nicht nötig«, erklärte sie. »Bruder Cadfael hat bereits mit Mutter Patrice gesprochen. Er hatte noch etwas zu erledigen. Ihr sollt hier ruhig auf seine Rückkehr warten. Kommt Ihr nun?«
Haluin stemmte sich mühsam auf die Beine und folgte ihr über den hinteren Hof zu den Gemächern der Äbtissin, voller Vertrauen wie ein Kind und mit immer noch halb abwesenden Gedanken. Die kleine Pförtnerin paßte ihre flinken Füße seinem schweren Gang an und brachte ihn rücksichtsvoll und sanft bis zur Tür des Sprechzimmers. Auf der Schwelle warf sie ihm ein strahlendes, ermutigendes Lächeln zu.
»Geht nur hinein, Ihr werdet erwartet.«
Sie hielt ihm die Tür auf, da er beide Hände für die Krücken brauchte. Er humpelte über die Schwelle in den nach Holz duftenden, halbdunklen Raum und blieb drinnen stehen, um der Äbtissin die Ehre zu erweisen. Dann aber, als seine Augen sich an das Dämmerlicht gewöhnt hatten, hielt er bebend inne. Denn die Frau, die gefaßt und still und wundervoll lächelnd mitten im Raum stand und ihn erwartete, die Hände instinktiv ausgestreckt, um ihm zu helfen, war nicht die Äbtissin, sondern Bertrade de Clary.
12. Kapitel
Der Bursche, der ohne Eile über den Hof herbeikam, um den Besucher zu begrüßen und nach seinem Begehr zu fragen, war weder Lothair noch Luc, sondern ein schlaksiger, nicht einmal zwanzig Jahre alter Junge mit einem dichten, dunklen Haarschopf. Hinter ihm schien der Hof frei vom gewohnten lebhaften Getriebe. Nur ein paar Mägde und Knechte gingen gemächlich ihrer Arbeit nach, als ließe man hier die Zügel schleifen. Es sah ganz danach aus, als sei der Hausherr mit den meisten seiner Männer noch unterwegs, um nach Neuigkeiten zu jagen, die zum Mörder Edgythas führen konnten.
»Wenn Ihr den Herrn Audemar sprechen wollt«, sagte der Junge sofort, »dann habt Ihr Pech. Er ist noch wegen dieser Frau, die vor ein paar Nächten getötet wurde, unterwegs. Aber sein Verwalter ist da, und wenn Ihr übernachten wollt, dann solltet Ihr mit ihm sprechen.«
»Vielen Dank«, erwiderte Cadfael, während er ihm seinen Zügel gab, »aber ich will nicht zu Herrn Audemar. Seine Mutter will ich sprechen. Ich weiß, wo ihre Witwengemächer sind.
Wenn Ihr das Pferd versorgen wollt, kann ich schon hinübergehen und das Mädchen fragen, ob die Herrin mich empfängt.«
»Wie Ihr wollt. Ihr wart ja schon einmal hier«, sagte der Bursche, indem er mit schmalen Augen den flüchtig bekannten Besucher musterte. »Vor ein paar Tagen erst, mit einem anderen Mönch in schwarzer Kutte, der auf Krücken nur mühsam ging.«
»Richtig«, meinte Cadfael. »Ich sprach bei dieser Gelegenheit auch schon mit der Herrin, und sie wird mich oder den lahmen Bruder nicht vergessen haben. Wenn sie mich jetzt nicht empfangen will, dann soll es gut sein – aber sie wird sich wohl nicht verweigern.«
»Versucht es nur«, meinte der Bursche gleichgültig. »Sie ist mit ihrem Mädchen in ihrem Haus. Seit ein paar Tagen läßt sie sich kaum noch blicken.«
»Sie hatte zwei Burschen dabei«, fuhr Cadfael fort. »Es waren Vater und Sohn. Wir lernten uns kennen, als wir hier waren. Die beiden hatten ihre Herrin aus Shropshire hierher begleitet. Ich würde nachher gern mit den beiden sprechen, falls sie nicht mit Audemars Leuten in Vivers sind.«
»Oh, die! Nein, das sind ihre Leute, nicht seine. Aber sie sind trotzdem nicht mehr da. Gestern ganz früh schickte sie sie mit einem Auftrag fort. Wohin, das weiß ich
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