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Das Fremde Mädchen

Das Fremde Mädchen

Titel: Das Fremde Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellis Peters
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nicht. Zurück nach Hales, würde ich meinen. Da wohnt die alte Dame ja die meiste Zeit.«
    Ich frage mich nur, dachte Cadfael, als er sich zu Adelais'
    Haus in der Ecke der Enklave wandte, während der Bursche den Rotbraunen in den Stall führte, ich frage mich wirklich, wie es Adelais de Clary schmecken würde, wenn sie erführe, daß der Bursche ihres Sohnes sie als ›alte Dame‹ bezeichnet.
    Zweifellos kam sie dem ungehobelten Jungen so alt vor wie die Berge, aber sie hatte bewahrt und behütet, was einst eine große Schönheit gewesen war, und von diesem Strahlen durfte nichts und niemand ablenken. Nicht umsonst hatte sie als engste Dienerin ein schlichtes, pockennarbiges Mädchen gewählt und sich mit langweiligen, gewöhnlichen Gesichtern umgeben, zwischen denen sie um so schöner strahlen konnte.
    An der Türe von Adelais' Haus bat er darum, empfangen zu werden, und Gerta kam selbstherrlich im Bewußtsein ihrer Bedeutung und fest entschlossen, jede Störung von ihrer Herrin fernzuhalten. Er hatte zunächst seinen Namen nicht genannt, doch als Gerta ihn nun sah, hielt sie inne. Sie schien nicht eben erbaut, einen der Benediktinermönche aus Shrewsbury so bald schon und ohne Vorwarnung wiederzusehen.
    »Meine Herrin ist nicht bereit, Besucher zu empfangen. Was habt Ihr mit ihr zu schaffen, daß Ihr sie stören müßt? Wenn Ihr eine Unterkunft und etwas zu essen braucht, wird sich der Verwalter des Herrn Audemar bemühen.«
    »Was ich hier zu schaffen habe«, sagte Cadfael, »betrifft nur Frau Adelais und geht, abgesehen von ihr selbst, niemand etwas an. Sagt ihr, Bruder Cadfael sei noch einmal aus der Abtei von Farewell gekommen und bitte sie um ein Gespräch.
    Ich glaube gern, daß sie keine Besucher empfangen will, aber ich nehme an, daß sie mich nicht abweisen wird.«
    Sie war nicht so kühn, daß sie es wagte, ihn selbst fortzuschicken, doch sie ging mit hochmütig erhobenem Kopf und verächtlichen Blicken, als freute sie sich schon darauf, ihm eine ablehnende Antwort zu übermitteln. Nach dem enttäuschten Gesicht zu urteilen, mit dem sie aus der Kemenate zurückkam, war ihr diese Freude anscheinend verwehrt worden.
    »Meine Herrin bittet Euch herein«, sagte sie kalt und öffnete für ihn die Tür, damit er an ihr vorbei ins Haus treten konnte.
    Zweifellos hoffte sie, in der Nähe bleiben und anhören zu können, was gesprochen wurde, aber so weit ging die Liebe nicht.
    »Laß uns allein«, sagte Adelais de Clary, die unter dem verschlossenen Fenster in tiefem Schatten saß. »Und schließ die Tür hinter dir.«
    Dieses Mal hatte sie keine Frauenarbeit in den Händen, kein Stickzeug und kein Garn zum Spinnen. Sie saß reglos auf ihrem großen Stuhl im Halbdunkel, die Hände auf die Lehnen gelegt und die geschnitzten Löwenköpfe am Ende umklammernd. Sie bewegte sich nicht, als Cadfael hereinkam, sie war weder überrascht noch erschrocken. Ihre tiefen, brennenden Augen sahen ihn ohne jede Verwunderung an, und wie er meinte auch ohne jedes Bedauern. Es schien fast, als habe sie ihn erwartet.
    »Wo habt Ihr Haluin gelassen?« fragte sie.
    »In der Abtei von Farewell«, sagte Cadfael.
    Sie schwieg eine Weile und dachte mit unbewegtem Gesicht und funkelnden Augen nach, so intensiv, daß er fast ein gespanntes Zittern in der Luft zu spüren glaubte, bevor sich seine Augen an das Halbdunkel gewöhnt hatten. Allmählich schälten sich ihre Gesichtszüge aus der Dunkelheit heraus, aus der Finsternis, in die sie sich selbst gesperrt hatte. Dann sagte sie rauh und laut: »Ich will ihn nie wiedersehen.«
    »Nun, Ihr werdet ihn auch nicht wiedersehen. Wenn dies hier erledigt ist, kehren wir heim.«
    »Aber«, sagte sie, »ich dachte die ganze Zeit daran, daß Ihr zurückkommen würdet. Früher oder später würdet Ihr zurückkommen. Nun gut! Die Dinge sind jetzt meinen Händen entglitten. Sagt, was Ihr mir sagen wollt. Ich werde besser schweigen.«
    »Das könnt Ihr nicht tun«, widersprach Cadfael. »Es ist Eure Geschichte.«
    »Dann seid mein Chronist. Erzählt Sie! Erinnert mich! Laßt mich hören, wie die Geschichte in den Ohren meines Beichtvaters klingen wird, falls mir überhaupt ein Priester die Beichte abnimmt.« Sie streckte plötzlich eine lange, schmale Hand aus und forderte ihn wie eine Königin auf, sich zu setzen.
    Doch er blieb dort stehen, wo er sie am besten sehen konnte, und sie machte nicht den Versuch, seinen Blicken auszuweichen, sondern hielt ihnen stand. Ihr schönes, stolzes Gesicht war

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