Das Fremde Mädchen
anvertraut.
Ihr braucht um Helisende nicht zu fürchten, denn solange sie hier bleibt, ist sie vor allen Qualen sicher und hat zudem die Gesellschaft und den Trost ihrer Mutter.«
»Sie hätte keinen besseren Ort finden können«, sagte Cadfael inbrünstig. »Nun, was diese beiden angeht, so muß ich Euch sagen, daß Haluin in dem Glauben gelassen wurde, Bertrade sei tot. All die Jahre hielt er sie für tot, und er gab sich selbst sogar die Schuld an ihrem Tod. Heute morgen hat er sie dank Gottes Gnade lebendig und wohlauf gesehen. Sie haben, außer sich beim Namen zu nennen, kein Wort gewechselt. Aber ich glaube, wenn Ihr es erlaubt, sollten sie eine Gelegenheit dazu bekommen. Sie werden ihren Berufungen besser nachkommen können, wenn sie ihren Seelenfrieden gefunden haben. Und sie haben auch das Recht, sich zu vergewissern, daß der andere wohlauf, gesegnet und zufrieden lebt.«
»Und Ihr glaubt«, fragte die Äbtissin vorsichtig, »daß sie tatsächlich gesegnet und zufrieden leben können wie zuvor?«
»Besser sogar«, bekräftigte er ohne jeden Zweifel. »Ich kann für den Mann sprechen, und Ihr kennt die Frau. Wenn sie uns ohne ein Wort verlassen sollten, dann werden sie sich bis ans Ende ihrer Tag quälen.«
»Aber dafür möchte ich vor Gott nicht verantwortlich sein«, sagte die Äbtissin mit einem kurzen, spröden Lächeln. »Nun, sie sollen ihre Stunde bekommen und ihren Frieden finden. Es kann nicht schaden, aber viel Gutes kann es bewirken. Wollt Ihr noch einige Tage hier bei uns bleiben?«
»Wenigstens noch heute«, sagte Cadfael. »Und ich habe noch eine weitere Bitte. Bruder Haluin überlasse ich Euch, doch es gibt noch etwas, das ic h tun muß, bevor wir nach Hause zurückkehren. Aber nicht hier! Darf ich ein Pferd aus Eurem Stall borgen?«
Sie musterte ihn eine Weile, und es schien, als sei sie zufrieden mit dem, was sie sah. Schließlich meinte sie: »Unter einer Bedingung.«
»Und die wäre?«
»Ihr müßt mir, wenn die Zeit es erlaubt und alles im Lot ist, auch die zweite Hälfte der Geschichte erzählen.«
Bruder Cadfael führte sein geborgtes Pferd in den Hof und stieg ohne Eile auf. Der Bischof hatte, um seine eigenen Besuche zu erleichtern, einen angemessenen Stall einrichten lassen. Zwei kräftige Kaltblüter standen bereit, falls einer seiner Gesandten hier vorbeikam und die Gastfreundschaft der Abtei in Anspruch nahm, um die Pferde zu wechseln. Nachdem er freie Hand hatte, wählte Cadfael natürlich das bessere und lebhaftere der beiden Pferde, einen jungen, kräftigen Rotbraunen. Er hatte keinen weiten Ritt vor sich, aber er wollte wenigstens für sich selbst etwas Vergnügen herausschlagen, denn am Ende würde es kaum Freude geben.
Die Sonne stand schon hoch, als er aus dem Tor ritt. Eine bleiche Sonne war es, die aber heller und klarer wurde, während sich die Luft frühlingshaft erwärmte. Der schlimme Schneefall in Vivers war gewiß der letzte des Jahres gewesen, ein angemessener Endpunkt für Haluins Bußgang, der im ersten Schnee seinen Anfang genommen hatte.
Der zarte grüne Schleier der Knospen auf den Ästen von Büschen und Bäumen hatte sich zum harten Gefieder junger Blätter entwickelt. Das feuchte Gras schimmerte und dampfte leicht, wo es von der Sonne berührt wurde. Soviel Schönheit lag vor ihm, und hinter ihm gab es Hoffnung auf eine große Gnade, auf eine gerechte Erlösung und die Erneuerung der Hoffnung. Vor ihm aber gab es eine einsame Seele, die gerettet werden mußte, falls sie nicht schon verloren war.
Er nahm nicht die Straße nach Vivers. Nicht dort hatte er Dringendes zu tun, auch wenn er auf dem Rückweg vielleicht dort Halt machen würde. Einmal zügelte er sein Pferd und blickte zurück. Im leicht hügeligen Land waren der Zaun der Abtei und der Weiler verschwunden. Haluin würde warten und sich wundern und durch einen wirren Traum tappen, voller Fragen, auf die er keine Antwort finden konnte, zerrissen zwischen Glauben und Unglauben, ängstlicher Freude und alten Schmerzen, bis die Äbtissin ihn zu dem Treffen rief, das alle Dinge offenlegen würde.
Cadfael ritt langsam weiter, bis er jemand fand, den er nach dem Weg fragen konnte. Eine Frau, die am Rande eines Dorfes Schafe und Lämmer zur Weide führte, wies ihm bereitwillig den kürzesten Weg. Er konnte Vivers meiden, was ihm ganz recht war, denn im Augenblick wollte er Cenred und seinen Männern nicht begegnen. Noch hatte er ihnen nichts zu sagen, und nicht er mußte ihnen sagen, was nun
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