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Das Fremde Meer: Roman (German Edition)

Das Fremde Meer: Roman (German Edition)

Titel: Das Fremde Meer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Hartwell
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gibt dich.

Die zehnte Geschichte:
    Die Geschichte von Jan und Marie
    She had a perpetual sense, as she watched the taxi cabs, of being out, out, far out to sea and alone; she always had the feeling that it was very, very dangerous to live even one day.
    Virginia Woolf, » Mrs Dalloway « , 1925

I
    Es gibt einen Tag, der ist ein weißer Fleck, oder vielmehr: der ist ein schwarzes Loch.
    Es gibt einen Tag, über den ich nichts weiß, dabei ist er der vielleicht wichtigste Tag meines bisherigen Lebens, er ist das Zentrum, um das alle anderen Tage und Nächte sich anordnen und kreisen, in das sie langsam hineingezogen werden.
    Es gibt einen Anruf, an den ich mich nicht erinnern kann, und es ist der vielleicht wichtigste Anruf meines Lebens. Ich könnte nicht sagen, was während ihm gesprochen wird, schon während die Worte durch die Leitung und in mein Leben schleichen, vergesse ich sie.
    Zuerst aber gibt es:
    Die Geschichte des Kennenlernens
    Dieser Tag kündigt sich durch nichts an. Es ist nicht besonders heiß oder kalt, der Himmel ist weder blau und klar noch unheilvoll und gewitterkündend. Es liegt nichts in der Luft, außer vielleicht einer schweren Trägheit, die aber auch nur in mir selbst liegen mag.
    Morgens fahre ich in die Bibliothek und bleibe dort bis abends. In der Mittagspause streite ich mich mit Nils und Frank über etwas, das Jacques Lacan gesagt oder aber so nie gesagt oder aber in etwa so gesagt hat.
    Als ich am frühen Abend meine Sachen zusammenräume, habe ich fünf Seiten geschrieben und vier davon wieder gelöscht, habe den halben Vormittag an einer Fußnote gefeilt und sie anschließend verworfen. Ich bin müde und lustlos, und während ich durch den Flur laufe wie ein Schlafwandler, denke ich, dass ich gerade Abenteuer erleben könnte, dass ich in Südamerika sein, Wasserfälle bestaunen und meinen Kopf in Krokodilmäuler halten könnte, statt Paragraphen einzurücken.
    Gerade als ich das Treppenhaus betrete, geht der Alarm los. Ich zucke zusammen, obwohl das Geräusch für mich schon lange keine Besonderheit mehr ist: Es vermeldet regelmäßig, dass irgendwo im sechsstöckigen Universitätsgebäude ein Paternoster steckengeblieben ist.
    Zu diesem Zeitpunkt gehört unsere Universität zu den wenigen des Landes, in denen man nicht nur ganz gewöhnlich über die Treppe oder den Fahrstuhl von einer Etage in die andere kommt, sondern auch mit einem der etwa zehn Paternoster fahren kann. Als ich neu an der Uni war, fürchtete ich mich davor, sie zu benutzen, und träumte regelmäßig davon, in einen sich rasend schnell fortbewegenden Paternoster hineinspringen oder schlimmer noch: wieder aus ihm hinausspringen zu müssen. Tatsächlich bleiben die meisten Studenten irgendwann im Laufe ihrer Studentenzeit stecken. Auch mir ist das einmal passiert, zusammen mit Professor Dunker. Wir waren gerade erst eingestiegen, als die Kabine nur wenige Zentimeter über dem regulären Ausstieg einrastete. Es ist untersagt, in diesem Fall aus der Kabine zu klettern, aber da wir nicht wirklich klettern, sondern bloß einen entschiedenen Schritt in den Gang tun mussten, verließen wir den Paternoster ohne viel Aufhebens.
    Vor dem Schacht, in welchem der Paternoster ratlos vor sich hin lärmt, stehen zwei aufgeregte Frauen. Weil ich nirgendwo hineingezogen werden möchte, würde ich am liebsten an ihnen vorbeilaufen, nur befinden sich die Schließfächer gleich gegenüber. Die Frauen schauen mich hilfesuchend an. Ich weiß nicht, warum. Nichts an mir legt nahe, dass ich vorhabe, Hilfe zu leisten.
    »Bestimmt kommt gleich der Hausmeister«, murmle ich und mache mir an meinem Schließfach zu schaffen.
    Aber es sei doch Samstag, sagen die Frauen hinter mir. Und bestimmt gar kein Hausmeister im Gebäude.
    Ich drehe mich zu ihnen um, und meine schwarz gerandete Lesebrille muss mir einen autoritären Anstrich geben, denn die Frauen sehen noch immer erwartungsvoll zu mir herüber, und nun schaue auch ich, sehe den Schacht und sehe die Kabine, die an einer denkbar ungünstigen Stelle, gut anderthalb Meter über dem Ausstieg, steckengeblieben ist. Ich sehe auch deine Schuhe, und später werde ich sagen, dass ich mich wohl gleich in sie verliebt haben muss, deine kobaltblauen Turnschuhe. Denn zögernd lege ich meine Bücher ins geöffnete Schließfach und trete einen Schritt auf den Schacht zu. Aus den Schuhen wachsen Beine in die Dunkelheit, bis zu den Oberschenkeln kann ich sie noch sehen, der Rest der Kabine steckt ganz

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